Erdbebensichere Architektur: Wovon die Sicherheit eines GebÀudes abhÀngt (stuttgarter-zeitung.de)

Schwachstellen Àlterer GebÀude sind meist die Knotenpunkte in den Stahlbetonrahmen, also dort, wo senkrechte SÀulen und waagerechte Balken aufeinandertreffen.

Ist der Rahmenknoten nicht ausreichend mit einbetonierten BewehrungsstĂ€ben aus Stahl verstĂ€rkt, fĂ€llt er zusammen. Die empfindlichen Rahmenknoten in Ă€lteren GebĂ€uden können Bauingenieure auch nachtrĂ€glich noch erdbebensicher machen – beispielsweise indem man Stahldiagonalen in die Innenecken des Rahmenknotens montiert.

Baden-WĂŒrttemberg beheimatet mehrere Erdbebenregionen

Eine nachtrĂ€gliche Sicherung gegen Erdbeben ist besonders bei GebĂ€uden sinnvoll, die vor 1980 gebaut wurden. Damals hatten die Bauingenieure die GebĂ€ude noch nicht darauf ausgelegt, den horizontalen KrĂ€ften standzuhalten, die bei einem Erdbeben auftreten. „HĂ€ufig haben alte HĂ€user nicht genĂŒgend WĂ€nde, AusfĂŒhrungsdetails wurden nicht richtig beachtet, in den BetonwĂ€nden sind nicht genug oder richtig platzierte StahlstĂ€be verbaut, die die Erdbebenlasten aufnehmen können“, erklĂ€rt Hamid Sadegh-Azar.

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Erdbebensicherheit: Maßnahmen zum Schutz von GebĂ€uden (planradar.com)

Erdbeben sind eine der verheerendsten KrĂ€fte unserer Erde. Sie zerstören nicht nur GebĂ€ude, sondern fordern auch Menschenleben und verursachen SachschĂ€den in enormer Höhe. Weltweit bebt die Erde rund dreimal pro Woche mit einer Magnitude von sechs und höher. Allein 2022 gab es 270 Erdbeben, die SchĂ€den an insgesamt 247.566 GebĂ€uden verursachten und 1.305 Menschenleben forderten. Nach Angaben des BGR finden weltweit im Durchschnitt 1.500 Erdbeben/Jahr, mit einer StĂ€rke ĂŒber der Magnitude 5, statt.

Wer glaubt, ein Erdbeben wĂŒrde in unseren Regionen relativ selten auftreten, der irrt. Denn nicht nur geologische Prozesse verursachen Erdbeben. Dank wissenschaftlicher Fortschritte konnten Ingenieure und Ingenieurinnen in den letzten Jahrzehnten neue Konstruktionsweisen, wie den „seismischen Unsichtbarkeitsmantel“ und Baumaterialien, wie FormgedĂ€chtnislegierungen, entwickeln, um die Standfestigkeit von GebĂ€uden und deren Erdbebensicherheit zu erhöhen.

Warum auch GebĂ€ude in nicht-erdbebengefĂ€hrdeten Gebieten vor ErschĂŒtterungen zu schĂŒtzen sind

Obwohl Deutschland mitten auf einer tektonischen Platte liegt, ist es weit davon entfernt, als erdbebengefĂ€hrdete Region zu gelten. Die meisten Erdbeben ereignen sich nĂ€mlich an den Plattengrenzen.  Doch auch in Deutschland bebt es. Zwar schwach, aber hĂ€ufig. Eine geografisch gĂŒnstige Lage allein schĂŒtzt nicht vor ErschĂŒtterungen. Erdbeben werden nicht ausschließlich durch die Bewegung tektonischer Platten verursacht, sondern können auch durch Menschenhand entstehen. Denken Sie beispielsweise an Regionen, in denen im großen Stil Bergbau betrieben wurde. Werden die, dabei in den Berg getriebenen, Stollen irgendwann nicht mehr wirtschaftlich rentabel, so entfernt man ĂŒblicherweise sĂ€mtliche TragwĂ€nde und ĂŒberlĂ€sst den unterirdischen Hohlraum sich selbst. Bei einem plötzlichen Einsturz können seismische Wellen in ErdbebenstĂ€rke die Folge sein. Zu solch einem Vorfall kam es auch 2008 im Saarland. Das dabei ausgelöste Beben hatte glĂŒcklicherweise keine Menschenleben gefordert, aber betrĂ€chtliche SachschĂ€den verursacht.

DIN- und Eurocode-Vorgaben zum erdbebensicheren Bauen

Innerhalb der EU gelten bestimmte Standards, um GebĂ€ude gegen SchĂ€den durch ErderschĂŒtterungen abzusichern. Diese sind in EN 1998-1 bis 6 unter dem Titel „Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben“ festgehalten und umfassen unter anderem Informationen dahingehend, wie die WiderstandsfĂ€higkeit von GebĂ€uden gegen Erdbewegungen eingeschĂ€tzt werden kann. Die einzelnen Staaten ergĂ€nzen oder variieren die im Eurocode 8 festgelegten Richtlinien, um sie an die HĂ€ufigkeit und Schwere von tektonischen Bewegungen in der eigenen Region anzupassen.

Allerdings bedeutet die Existenz des Eurocodes nicht unbedingt, dass alle Immobilien in sÀmtlichen LÀndern auch erdbebensicher sind. Das zeigt sich am Negativbeispiel von Italien, das zwar von allen LÀndern Europas am hÀufigsten von Erdbeben betroffen ist, gleichzeitig jedoch weniger als 30 Prozent der GebÀude an diese Tatsache angepasst hat.

Vorreiter in Sachen Erdbebenschutz: Japan

Das ostasiatische Land Japan ist besonders hĂ€ufig von Erdbeben betroffen. Jede fĂŒnfte starke ErderschĂŒtterung, die weltweit stattfindet, tritt in Japan auf. Die japanische Regierung setzt dabei auf ein System von Motivation und Bestrafung: Auf der einen Seite wird erdbebensicheres Bauen durch steuerliche VergĂŒnstigungen belohnt, auf der anderen Seite ĂŒberprĂŒfen die Behörden streng, ob die Standards eingehalten werden. Wenn die Immobilie den AnsprĂŒchen nicht genĂŒgt, wird es fĂŒr das Bauunternehmen teuer.

Insbesondere in der Hauptstadt Tokio wird viel getan, um sich fĂŒr kĂŒnftige schwere ErdstĂ¶ĂŸe zu wappnen. Um die lebensnotwendige Infrastruktur abzusichern, also die Versorgung mit Wasser, Strom, Gas und mehr, wurde der Untergrund in Tokio mit einem Netz aus Röhren durchzogen. Diese sollen die Leitungen bei einem Beben schĂŒtzen und gleichzeitig Reparaturen erleichtern, da sie groß genug sind, um von Handwerker:innen betreten zu werden. Bereits 2019 waren ungefĂ€hr 9.000 GebĂ€ude in Japan auf den Erdbebenschutz ausgerichtet.

Mehr Sicherheit fĂŒr Kalifornien

Im Hinblick auf die Erdbeben Frequenz verhĂ€lt es sich im US-amerikanischen Bundesstaat Kalifornien Ă€hnlich wie in Japan. Das liegt an der besonderen Lage der Region, die sich genau ĂŒber den RĂ€ndern zweier tektonischer Platten befindet. Experten und Expertinnen erwarten, dass sich spĂ€testens 2038 ein Erdbeben ereignet, dass mit dem schweren Beben von 1906 vergleichbar ist. Dieses erreichte eine StĂ€rke von 8,4 und kostete ĂŒber 3.000 Menschen das Leben.

Aus diesem Grund hat beispielsweise der BĂŒrgermeister von Los Angeles strenge Vorgaben erlassen, die sich an den Gesetzen des Bundesstaates orientieren und unter anderem das Bauen direkt ĂŒber Verwerfungen untersagen. Zudem sind ImmobilieneigentĂŒmer:innen nun dafĂŒr zustĂ€ndig, ihre GebĂ€ude erdbebensicher zu machen – das gilt auch fĂŒr bestehende Immobilien. Aus diesem Grund musste ein Einkaufszentrum rĂŒckgebaut und an anderer Stelle neu in die Höhe gezogen werden. Gleichzeitig forscht die Behörde „California Geological Survey“ daran, Gefahren im Untergrund der Stadt zu lokalisieren. So soll verhindert werden, dass an riskanten Stellen gebaut wird.

Zwei der bestgeschĂŒtzten GebĂ€ude weltweit

Der Flughafen Sabiha Gökçen in Istanbul gehört zu den Konstruktionen, die einem Erdbeben im internationalen Vergleich am meisten entgegenzusetzen haben. Er hĂ€lt ErschĂŒtterungen von bis zu 8.0 MW stand, da er ĂŒber 300 isolierende Systeme verfĂŒgt, die die seismischen Wellen ableiten. Das Fundament, auf dem der Flughafen errichtet wurde, ist zudem in hohem Maße vom Untergrund abgekoppelt. DafĂŒr wurde es auf einer Plattform erbaut, die horizontale Bewegungen des Erdbodens abfĂ€ngt.

Das Hauptquartier des Unternehmens Apple ist in Bezug auf Erdbebensicherheit ebenfalls ein Vorbild. Die Architekt:innen haben sich dafĂŒr von japanischen Ingenieur:innen inspirieren lassen und das GebĂ€ude gegen Erdbewegungen isoliert. Gleitlager stellen sicher, dass sich Schwingungen nicht auf das Mauerwerk auswirken, sondern abgefangen werden. Sie sind in der Lage, sich auf horizontaler Ebene in sĂ€mtliche Richtungen um bis zu 1,20 Meter zu bewegen, wodurch ErdstĂ¶ĂŸe ausgeglichen werden.

Die Forschungen zur Erdbebensicherheit schreiten voran

Bei einem Erdbeben sterben die meisten Menschen durch einstĂŒrzende Bauwerke und nicht durch die seismischen Wellen selbst. Daher finden jegliche BemĂŒhungen zur Standsicherheit von GebĂ€uden weiterhin statt und werden auch in Zukunft unerlĂ€sslich sein:

·         Innovationen im Baustoffbereich

Wissenschaftler und Ingenieure entwickeln neue Baustoffe mit noch grĂ¶ĂŸerer FormbestĂ€ndigkeit. Innovationen wie FormgedĂ€chtnislegierungen können sowohl starken Belastungen standhalten als auch in ihre ursprĂŒngliche Form zurĂŒckkehren, wĂ€hrend faserverstĂ€rkte Kunststofffolien – hergestellt aus einer Vielzahl von Polymeren – um SĂ€ulen gewickelt werden können und eine um bis zu 38% höhere Festigkeit und DuktilitĂ€t bieten.

Ingenieure wenden sich auch natĂŒrlichen Elementen zu. Die klebrigen, aber starren Muschelfasern oder die von StĂ€rke zu GrĂ¶ĂŸe verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig starke Spinnenseide sind vielversprechend in der Entwicklung neuer Materialien. Bambus- und 3D-Druckmaterialien können auch als leichte, ineinandergreifende Strukturen mit unbegrenzten Formen fungieren, welche GebĂ€uden potenziell einen noch grĂ¶ĂŸeren Widerstand bieten können.

·         Neue Bauweisen im Test

Anstatt KrĂ€ften entgegenzuwirken, experimentieren Forscher der UniversitĂ€t Marseille mit der Möglichkeit, seismische Erdbebenwellen komplett vom GebĂ€ude abzuschirmen oder umzuleiten. Dieser Denkansatz gehört zu den neueren und hat noch nicht den Weg in die Praxis gefunden. In diesem Fall soll eine Art „unsichtbarer Schutzring“, welcher das GebĂ€ude umkreist, bestehend aus 100 konzentrisch angeordneten Kunststoff- und Betonringen 1 m unter der Erde vergraben, dafĂŒr sorgen die Erdbebenwellen vom GebĂ€ude abzuschirmen. Die auf die Ringe eindringenden seismischen Wellen werden dabei gezwungen, sich vom GebĂ€ude weg und hin zu den Ă€ußeren Ringen zu bewegen, um dort abzuklingen.

Wie macht man ein GebÀude erdbebensicher?

Um ein erdbebensicheres GebĂ€ude zu errichten, konstruieren Ingenieure Strukturen, die den horizontal wirkenden KrĂ€ften eines Erdbebens standhalten können. Da Erdbeben große Mengen an Energie freisetzen, und GebĂ€ude ruckartig aus einer Richtung belasten, muss eine erdbebensichere Struktur sich auch in die entgegengesetzte Richtung bewegen können. Im Folgenden sind bewĂ€hrte Methoden aufgefĂŒhrt, mit denen GebĂ€ude Erdbeben standhalten können.

1.      Fundament auf Mehrschicht-Auflagern

Erdbebenresistentes Strukturkontrastdiagramm, konventionelle Struktur und isoliertes GebÀude, Basis isoliertes System

Eine Möglichkeit, den seismischen HorizontalkrĂ€ften im Boden entgegenzuwirken, besteht darin, das Fundament des GebĂ€udes einerseits ĂŒber dem OberflĂ€chen-Niveau anzusiedeln und andererseits mithilfe elastischer Gummisockel, bestehend aus Schichten aus Stahl, Gummi und Blei, vom Untergrund zu trennen. Wenn der Untergrund sich wĂ€hrend des Erdbebens bewegt, vibrieren die erdbebensicheren Auflager mit und fangen die einwirkende Bewegungsenergie ab. Dies hilft effektiv, seismische Wellen zu absorbieren und verhindert, dass diese sich durch die GebĂ€udestruktur fortbewegen.

2.      StoßdĂ€mpfer fĂŒr das GebĂ€ude

Den Begriff StoßdĂ€mpfer kennen die meisten vermutlich im Zusammenhang mit ihrem Auto. Wenige Leute wissen, dass Ingenieure sie auch bei der Realisierung erdbebensicherer GebĂ€ude einsetzen. Ähnlich wie beim Einsatz in Autos verringern StoßdĂ€mpfer die StĂ€rke der Stoßwellen und tragen zur Verlangsamung dieser bei. Dies geschieht auf zwei Arten: SchwingungsdĂ€mpfer und Schwingungstilger.

SchwingungsdÀmpfer

Bei dieser Methode werden auf jeder Ebene eines GebĂ€udes seismische DĂ€mpfer zwischen einer SĂ€ule und einem Balken platziert. Jeder DĂ€mpfer besteht aus Kolbenköpfen in einem mit Silikonöl gefĂŒllten Zylinder. Bei einem Erdbeben ĂŒbertrĂ€gt das GebĂ€ude die Schwingungsenergie in die Kolben, welche gegen das Öl drĂŒcken. Die Energie wird in WĂ€rme umgewandelt und die Kraft der Schwingungen abgeleitet. Dass sich diese Methode auch in der Praxis bewĂ€hrt, zeigt der Torre Mayor in Mexico City, in welchem unter anderem 98 dieser SchwingungsdĂ€mpfer eingebaut wurden. Das brisante daran ist, dass der Wolkenkratzer praktisch auf Sand gebaut wurde.

Schwingungspendel

Eine andere Methode, ErdbebenkrĂ€fte zu dĂ€mpfen, ist die Installation eines riesigen Pendel-Apparates. Das wohl bekannteste Beispiel hierfĂŒr ist der Taipeh 101 Wolkenkratzer. Dabei hĂ€ngt im obersten Stock des Wolkenkratzers eine 660 Tonnen schwere Stahlkugel auf Stahlseilen und einem Hydrauliksystem. Wenn das GebĂ€ude anfĂ€ngt zu schwanken, schwingt auch die Kugel, aufgrund der TrĂ€gheit seiner Masse mit und wirkt in die entgegengesetzte Richtung der einwirkenden KrĂ€fte, und hilft die Gesamtstruktur zu stabilisieren. Das GebĂ€ude steht heute noch und konnte bereits etlichen Erdbeben und Taifunen standhalten.

3.      VerstĂ€rkung der GebĂ€udestruktur

WĂ€hrend StoßdĂ€mpfer und Schwingungstilger dazu beitragen können, die Energie in gewissem Maße zu zerstreuen, sind die in einem GebĂ€ude verwendeten Materialien gleichermaßen fĂŒr dessen StabilitĂ€t verantwortlich. Wenn GebĂ€uden ein seismisches Ereignis widerfĂ€hrt, verteilen sich sĂ€mtliche KrĂ€fte auf dessen Struktur und können bis zu einem gewissen Maße einen Einsturz verhindern. Seit jeher werden zur zusĂ€tzlichen VerstĂ€rkung gegen horizontale Krafteinwirkungen in den meisten Bauten ScherwĂ€nde, Querstreben, Membranen und Momenten tragfĂ€hige Rahmen eingesetzt. Sie sind fĂŒr die VerstĂ€rkung eines GebĂ€udes von zentraler Bedeutung.

Auch mit der Entwicklung des Stahlbetons konnten GebĂ€ude standsicherer gebaut werden. Damit ein Baustoff Beanspruchungen und Vibrationen standhĂ€lt, muss er eine hohe DuktilitĂ€t aufweisen – die FĂ€higkeit, großen Verformungen und Spannungen zu widerstehen. Der Einsatz von Stahl in Form von Bewehrungen trug dazu bei, dass sich GebĂ€ude besser „biegen“ können, ohne zu brechen. Auch Holz ist aufgrund seiner hohen Festigkeit im Vergleich zu seiner leichten Struktur ein ĂŒberraschend duktiler Werkstoff.

Fazit

Niemand kann vorhersagen, wann und wo ein starkes Erdbeben auftreten wird. Die einzige Möglichkeit, sich vor ihnen zu schĂŒtzen, ist ausreichend Vorsorge zu treffen. So fortschrittlich die Technologien und Materialien heute auch sein mögen, ist es fĂŒr GebĂ€ude noch nicht möglich, einem starken Erdbeben unversehrt standzuhalten. Wenn jedoch ein GebĂ€ude erdbebensicher genug ist und seinen Bewohner:innen rechtzeitig die Flucht vor dem Einsturz ermöglichen kann, können wir dies als großen Erfolg ansehen.