AGG - Altersdiskriminierung
>>> Lese auch hier: Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen Behinderung - Informationsdienst Ravensburg & Blog von Stefan Weinert (mozello.com)
Hier erfahren Sie, was das Allgemeine Gleichbehandlungsgsetz (AGG) mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters meint und unter welchen Voraussetzungen das AGG Benachteiligungen wegen des Alters erlaubt, weil sie sachlich gerechtfertigt sind.
Im Einzelnen finden Sie Hinweise dazu, wann eine Altersdiskriminierung bei der Stellenausschreibung, bei der Einstellung bzw. Bewerberauswahl sowie bei Entlassungen und Abfindungszahlungen vorliegt. Da die Konsequenzen des Verbots der Altersdiskriminierung immer wieder umstritten sind, gibt es mittlerweile viele Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema.
von Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin
Was bedeutet „Alter" im Sinne des AGG?
Alter im Sinne des AGG ist das Lebensalter, d.h. nicht etwa die Dauer einer Beschäftigung ("Dienstalter").
Eine verbotene Benachteiligung wegen des Alters liegt vor,
- wenn ältere Menschen wegen ihres vorgerückten Lebensalters gegenüber Jüngeren benachteiligt werden, und/oder
- wenn jüngere Menschen wegen ihres niedrigeren Lebensalters gegenüber Älteren benachteiligt werden,
ohne dass es dafür einen vom AGG anerkannten sachlichen Grund gibt.
Wann ist eine Schlechterstellung wegen des Alters zulässig?Das Verbot der Benachteiligungen wegen des Alters ist - anders als „altbekannte“ Diskriminierungsverbote - Ergebnis einer neuen Rechtsentwicklung. Daher stößt dieses neue Rechtsprinzip auf viele bestehende gesetzliche, tarifliche und vertragliche Regelungen, die Altersgrenzen enthalten oder Arbeitnehmer altersbedingt besser oder schlechter stellen.
Vor diesem Hintergrund beinhalten die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) und das AGG, das diese Richtlinie umsetzt, Ausnahmen vom Grundsatz des Verbots der Altersbenachteiligung, damit die überkommenen (arbeits-)rechtlichen Regelungen, die vielfach auf Altersunterschieden der Beschäftigten beruhen, nach und nach und behutsam an das neue Rechtsprinzip angepasst werden können. Diese Ausnahmen sind in § 10 AGG enthalten.
Im allgemeinen ist danach eine altersbedingte Benachteiligung erlaubt, wenn sie „objektiv und angemessen durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist“ (§ 10 Satz 1 AGG). Außerdem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels „angemessen und erforderlich“ sein (§ 10 Satz 2 AGG).
Diese allgemein gefasste Erlaubnis (Generalklausel) wird ergänzt durch eine nicht abschließende Aufzählung von sechs Beispielsfällen, in denen eine altersbedingte Benachteiligung rechtlich erlaubt ist. Rechtlich erlaubt ist nach § 10 Satz 3 AGG
- die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen,
- die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile,
- die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand,
- die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen,
- eine Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann; § 41 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt,
- Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.
In den letzten Jahren haben sich viele Gerichtsentscheidungen mit Fällen befasst, in denen es um die Frage einer rechtlich erlaubten Ungleichbehandlung von Beschäftigten (Arbeitnehmern und Beamten) wegen ihres Alters ging. Die Rechtsentwicklung ist nicht abgeschlossen, d.h. viele wichtige Fragen sind offen und werden daher kontrovers diskutiert.
Stellenausschreibungen müssen so gefasst sein, dass sich jeder objektiv geeignete Bewerber angesprochen fühlen kann (§§ 7 Abs.1; 11 AGG). Werden in einer Stellenausschreibung ältere oder jüngere Interessenten ausgeschlossen, wird gegen das Verbot der nicht diskriminierenden Ausschreibung verstoßen.
BEISPIEL: In einer Stellenausschreibung wird eine „Unterstützung für unser junges Verkaufsteam" gesucht.
Hier liegt ein Verstoß gegen die Pflicht zur nicht altersdiskriminierenden Stellenausschreibung vor (§ 7 Abs.1 AGG, § 11 AGG). Wer nämlich als ältere Vertriebsfachkraft die übrigen Anforderungen der Stellenausschreibung erfüllt, wird sich nicht bewerben, da er sich von der Ausschreibung abgeschreckt fühlen wird: Schließlich ist er ja bereits in vorgerücktem Alter und daher kaum eine passende Verstärkung eines "jungen Verkaufsteams". Er hat daher im Falle einer Ablehnung Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs.2 AGG.
Trotzdem ist es zulässig, in der Stellenausschreibung berufliche Erfahrungen zur Einstellungsbedingung zu machen, obwohl solche Erfahrungen öfter bei älteren als bei jüngeren Bewerbern anzutreffen sind. Hier liegt keine mittelbare Diskriminierung jüngerer Bewerber vor, sondern eine sachlich gerechtfertigte berufliche Anforderung.
Sowohl nach der Richtlinie 2000/78/EG als auch nach dem AGG sind Altershöchstgrenzen, die einer Einstellung entgegenstehen, unbestritten eine Schlechterstellung älterer Personen im Vergleich zu den jüngeren, da diese sich ja um die zu besetzende Stelle bewerben können, d.h. nicht von vornherein wegen ihres Alters aus dem Rennen sind. Sowohl die Richtlinie wie auch das AGG erlauben aber altersbedingte Schlechterstellungen unter bestimmten Voraussetzungen, d.h. nicht jede altersbedingte Schlechterstellung ist eine verbotene Diskriminierung.
Eine Schlechterstellung ist gemäß Art.6 der Richtlinie 2000/78/EG sowie nach § 10 AGG nämlich keine Diskriminierung, wenn sie „objektiv und angemessen“ und durch „legitime Ziele" gerechtfertigt ist. Solche Ziele können im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung angesiedelt sein. Außerdem müssen die Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, ihrerseits „angemessen und erforderlich“ sein.
Als Beispiel für eine solche Schlechterstellung, die nicht unbedingt eine verbotene Diskriminierung darstellt, nennt Art.6 Abs.1 Satz 2 Buchstabe c) der Richtlinie 2000/78/EG ausdrücklich die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.
Seit Inkrafttreten des AGG im August 2006 werden einstellungshindernde Altershöchstgrenzen rechtlich in Frage gestellt und die Gerichte mit dem Problem konfrontiert, ob die Altersgrenzen bei der Einstellung diskriminierend sind oder nicht.
Dabei hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main im Mai 2007 entschieden, dass ein Einstellungshöchstalter von 40 Jahren für eine Festanstellung als Flugbegleiter diskriminierend ist (Urteil vom 29.05.2007, 11 Ca 8952/06 - wir berichteten in: Arbeitsrecht aktuell: 07/49 Jung genug zu arbeiten, aber zu alt für eine unbefristete Einstellung?).
In diese Richtung ging auch ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm vom August 2008, in dem das LAG zu dem Ergebnis kam, dass eine Altersgrenze von 25 bzw. 27 Jahren für für eine Arbeitnehmerposition im Justizvollzugsdienst diskriminierend ist (Urteil vom 07.08.2008, 11 Sa 284/08 - wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 08/110 Keine Altersgrenzen für Einstellung in den Justizvollzugsdienst als Angestellter).
Auch eine starre Altersgrenze von 40 Jahren für eine Habilitationsstelle wurde für diskriminierend befunden (LAG Köln, Urteil vom 12.02.2009, 7 Sa 1132/08, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell 09/155 Diskriminierung durch starre Altersgrenze für Habilitation).
Diesen aus Sicht der Bewerber positiven Entscheidungen steht ein Urteil des EuGH vom Januar 2010 entgegen, mit dem der Gerichtshof die Zulässigkeit von Altersgrenzen für den mittleren feuerwehrtechnischen Dienst festgestellt hat (EuGH, Urteil vom 13.01.2010, C-229/08 - Colin Wolf, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/058 Einstellungshöchstalter bei der Feuerwehr rechtens).
Diesem Urteil lag ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt am Main zugrunde, in dem es um die Frage ging, ob das nach dem hessischen Beamtenrecht geltende Höchstalter von 30 Jahren für die Einstellung im mittleren feuerwehrtechnischen Dienst rechtens ist. Dass der EuGH diese Altersgrenze als rechtens ansah, liegt daran, dass er die besonderen beruflichen Anforderungen des Feuerwehrdienstes stark in den Vordergrund rückte.
Im Ergebnis dieser Rechtsprechung zeichnet sich die Tendenz ab, dass ein Einstellungshöchstalter nur dann zulässig ist, wenn es durch zwingende berufliche Anforderungen, insbesondere an die körperliche Leistungsfähigkeit, gerechtfertigt ist, wenn und soweit diese Leistungsfähigkeit bei älteren Bewerbern nicht mehr gegeben ist.
Wann liegt eine Altersdiskriminierung beim Thema Urlaub vor?
Viele Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Formular-Arbeitsverträge und betriebliche Übungen sehen vor, dass ältere Arbeitnehmer einige Tage mehr Urlaub als ihre jüngeren Kollegen erhalten.
Ein solcher, allein vom Alter abhängiger Mehrurlaub ist im Allgemeinen eine ungerechtfertigte altersbedingte Schlechterstellung jüngerer Arbeitnehmer. Ausnahmsweise lässt sich ein altersabhängiger Mehrurlaub aber damit sachlich rechtfertigen, dass die begünstigten älteren Arbeitnehmer in höherem Maße erholungsbedürftig sind.
Ein objektiv vermehrtes Erholungsbedürfnis akzeptieren die Arbeitsgerichte nicht, wenn Mehrurlaub bereits ab dem 30. oder dem 40. Lebensjahr gewährt wird (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/247 Längerer tariflicher Urlaub für 30jährige als für 19jährige ist diskriminierend und in Arbeitsrecht aktuell: 12/126 Urlaub nach Alter ist eine Diskriminierung). Denn mit 35 Jahren ist man im Allgemeinen noch ebenso fit wie mit 25 Jahren, und auch mit 45 Jahren ist man im Allgemeinen noch nicht so "altersschwach", dass man mehr Urlaub braucht als jüngere Kollegen.
Anders ist es aber ab 50, jedenfalls aber ab 55 Jahren. So hat das Bundesarbeitsgericht es als rechtens bzw. als nicht diskriminierend angesehen, wenn Produktionsmitarbeiter ab 58 Jahren zwei Tage mehr Urlaub als jüngere Kollegen erhalten (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 14/357 Mehr Urlaubstage für ältere Arbeitnehmer).
Der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), d.h. der Vorgängertarifvertrag des heute maßgeblichen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD), sah vor, dass Arbeitnehmer derselben Tarifgruppe allein wegen ihres Lebensalters, d.h. aufgrund von „Lebensaltersstufen“ mehr Geld erhielten.
Diese Schlechterstellung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Lebensalters ist eine Altersdiskriminierung, die nach den Vorschriften des AGG unzulässig ist. Das stellte der EuGH im September 2011 auf der Grundlage von zwei Vorlagebeschlüssen des BAG klar (Urteil vom 08.09.2011, C-297/10 und C-298/10, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 11/179 Diskriminierung wegen des Alters durch BAT-Lebensaltersstufen). Allerdings erklärte der EuGH es für rechtens, dass die diskriminierenden BAT-Altersstufen bzw. die sich daraus errechnende Bezahlung als Ausgangspunkt für die Überleitung von Bestandsarbeitnehmern in die neue TVöD-Vergütung genommen wurden.
Obwohl eine rein vom Lebensalter abhängige (bessere) Bezahlung daher nicht zulässig bzw. altersdiskriminierend ist, ist es zulässig, die Bezahlung mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses, d.h. mit dem Dienstalter ansteigen zu lassen.
Führen tarifliche, vertragliche oder gesetzliche Altersgrenzen zu einer Altersdiskriminierung beim Thema Entlassung?
Tarifliche, arbeitsvertragliche und gesetzliche Altersgrenzen führen zu einer automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen des Rentenalters. Das ist eine objektive Schlechterstellung älterer Beschäftigter im Vergleich zu den jüngeren, denn diese dürfen ihren Job behalten.
Fraglich ist, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen diese Schlechterstellung sachlich gerechtfertigt und damit erlaubt ist. Eine Benachteiligung wegen des Alters ist ja gemäß Art.6 der Richtlinie 2000/78/EG sowie nach § 10 AGG keine Diskriminierung, wenn sie „objektiv und angemessen“ und durch „legitime Ziele" gerechtfertigt ist.
Im Jahre 2007 betonte der Europäische Gerichtshof (EuGH) zunächst den weiten Spielraum der EU-Mitgliedsstaaten bei der Festlegung von sozialpolitischen Zielen, die Altersgrenzen rechtfertigen können (Urteil vom 16.10.2007, C-411/05, Palacios de la Villa). Damit war die Debatte über Rentenaltersgrenzen erst mal vom Tisch, denn Rentenaltersgrenzen schienen laut EuGH praktisch immer rechtens zu sein (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell 07/77 Zwangsverrentung als Mittel zur Beschäftigungsförderung?).
Im Jahr 2008 meinte daher auch das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass die europarechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit Rentenaltersgrenzen geklärt seien (BAG, Urteil vom 18.06.2008, 7 AZR 116/07). In diesem Urteil bewertet das BAG das Interesse an einer berechenbaren Nachwuchsplanung als vorrangig gegenüber dem Interesse älterer Arbeitnehmer am Arbeitsplatzerhalt (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 08/077 Tarifliche Auflösung von Arbeitsverhältnissen mit Erreichen des Rentenalters ist rechtens.).
Seit Anfang 2009 war dann aber wieder eine gegenläufige Tendenz der Rechtsprechung erkennbar:
Im Januar 2009 legte das Arbeitsgericht Hamburg dem EuGH erneut die Frage vor, ob bzw. unter welchen Umständen tarifvertragliche Altersgrenzen mit dem Europarecht vereinbar sind (Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 20.01.2009, 21 Ca 235/08, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 09/094 Sind Zwangspensionierungen doch europarechtswidrig?). Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Hamburg hat eine tariflich starr festgelegte Altersgrenze von 65 Jahren möglicherweise keine ausreichende Begründung und ist daher rechtswidrig.
Im März 2009 betonte der EuGH bei der Entscheidung zu einem britischen Fall, dass der Wertungsspielraum des nationalen Gesetzgebers nicht zu einer Aushöhlung des Verbots der Altersdiskriminierung führen dürfe (EuGH, Urteil vom 05.03.2009, C-388/07 - Age Concern, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 09/038 Ist die Entlassung in die Rente diskriminierend?).
Im Juni 2009 wurde eine EuGH-Vorlage des BAG bekannt, mit der das BAG den EuGH um eine Stellungnahme zur Zwangspensionierung von Piloten mit 60 Jahren bat (BAG, Beschluss vom 17.06.2009, 7 AZR 112/08 (A), wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 09/118 Ist die Zwangsverrentung von Piloten mit 60 Jahren doch europarechtswidrig?).
Ebenfalls im Juni 2009 erging ein Urteil des EuGH, in dem eine Regelung von der Art der im Vorlagefall streitigen österreichischen Vorschrift für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt wurde, da die Mittel nicht angemessenen bzw. widersprüchlich waren (EuGH, Urteil vom 18.06.2009, C-88/08 - Hütter, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 09/138 Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel).
Im August 2009 schließlich entschied das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt am Main, dass die Zwangspensionierung eines Oberstaatsanwalts mit Erreichen des 65. Lebensjahres entsprechend den Vorschriften des hessischen Beamtenrechts eine unzulässige Diskriminierung sei, so dass es dem Oberstaatsanwalt ein weiteres Dienstjahr im Wege der verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidung zuerkannte (VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 06.08.2009, 9 L 1887/09.F). - wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 09/165 Diskriminierung durch Zwangsrente für Staatsanwalt mit 65 Jahren).
Diese Unklarheiten wurden dann aber durch den EuGH Ende 2010 aus dem Weg geräumt:
Denn im Oktober 2010 entschied der Gerichtshof den vom Arbeitsgericht Hamburg vorgelegten Zwangspensionierungsfall ("Rosenbladt") klipp und klar zugunsten des Arbeitgebers und damit zugunsten allgemeiner tariflicher und/oder gesetzlicher und/oder vertraglicher Rentenaltersgrenzen (Urteil vom 12.10.2010, C-45/09 - Rosenbladt, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/217 EuGH erklärt in Tarifverträgen enthaltene Rentenaltersklauseln für rechtens).
Auch ganz allgemeine "Ziele" wie ein "Generationenwechsel" sind nach Meinung des EuGH Grund genug, ältere Beschäftigte gegen ihren Willen in die Rente zu schicken. Diese Linie hat der EuGH seitdem immer wieder bestätigt und dabei deutlich gemacht, dass es auf die Höhe der Altersrente nicht ankommt (EuGH, Urteil vom 05.07.2012, C-141/11 - Hörnfeldt, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 12/321 Zwangspensionierung ist auch bei geringerer Rente keine verbotene Diskriminierung).
Andererseits hat der EuGH im September 2011 den Frankfurter Piloten-Fall zugunsten der bereits mit 60 Jahren zwangspensionierten drei Lufthansapiloten entschieden (EuGH, Urteil vom 13.09.2011, C-447/09, Prigge u.a., wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 11/178 EuGH kippt Altersgrenze 60 für Lufthansa-Piloten). Denn diese Altersgrenze belastete die Lufthansapiloten in besonderer Weise, da für Piloten allgemein erst mit 65 Jahren Schluss ist. Die hierfür vom Arbeitgeber genannten Sicherheitsgründe waren für diese vorgezogene Altersgrenze nicht stichhaltig genug, so der EuGH.
Im Ergebnis sind allgemeine Rentenaltersgrenzen daher rechtens, denn so allgemeine "Ziele" wie die Notwendigkeit eines "Generationenwechsels" genügen als Rechtfertigung der Zwangspensionierung bzw. der altersbedingten Entlassung. Das gilt für alle generellen Rentenaltersgrenzen, mögen diese nun je nach Berufsgruppe oder EU-Land bei 60, 63, 65, 67 oder 70 Jahren liegen.
Vorgezogene Sonder-Altersgrenzen für besondere Arbeitnehmergruppen (Piloten, Polizisten, Feuerwehrbeamte, Schwerbehinderte, Frauen) sind dagegen im Allgemeinen nicht ohne weiteres zulässig bzw. im Ergebnis oft rechtswidrig, da sie nicht mit dem allgemeinen "Generationenwechsel-Argument" begründet werden können.
Wann sind Kündigungsfristen altersdiskriminierend?
Je länger ein Arbeitsverhältnis besteht, desto länger sind die Kündigungsfristen, die der Arbeitgeber gemäß § 622 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beachten muss. Allerdings schreibt § 622 Abs.2 Satz 2 BGB vor, dass bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt werden.
Wer daher mit 28 Jahren in ein Unternehmen eintritt und mit 36 Jahren, d.h. nach acht Jahren Betriebszugehörigkeit gekündigt wird, genießt eine gesetzliche Kündigungsfrist von drei Monaten. Demgegenüber kann ein Arbeitnehmer, der mit 18 angefangen und mit 26 Jahren gekündigt wird, nach dem Gesetz trotz ebenso langer Betriebszugehörigkeit (acht Jahre) mit einer Frist von vier Wochen zum 15. oder zum Monatsende gekündigt werden, weil seine Betriebszugehörigkeit erst ab 25 Jahren zählt, so dass er erst ein (volles) Jahr vorweisen kann.
Gemäß § 622 Abs.2 Satz 2 BGB führt daher dieselbe Betriebszugehörigkeit je nach Alter des Arbeitnehmers zu verschieden langen Kündigungsfristen, wobei jüngere Arbeitnehmer vom Gesetz schlechter behandelt werden als ihre älteren Kollegen.
Das ist eine unzulässige Altersdiskriminierung, weil es für diese Ungleichbehandlung keine sachliche Rechtfertigung gibt. Daher ist § 622 Abs.2 Satz 2 BGB nach der Rechtsprechung nicht anzuwenden (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/018 Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer und in Arbeitsrecht aktuell: 11/128 Diskriminierung wegen Alters: Kein Vertrauensschutz in diskriminierende Regelung (§ 622 Abs.2 Satz 2 BGB)).
Im Ergebnis trägt daher jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit zur Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfristen bei, d.h. auf das Alter des Arbeitnehmers kommt es dabei nicht an.
Dass die gesetzlichen Kündigungsfristen überhaupt mit dem Bestand des Arbeitsverhältnisses länger werden, kann man auch kritisch sehen. Denn eine gesetzliche Kündigungsfrist von sieben Monaten kann man erst nach 20jährigem Arbeitsverhältnis beanspruchen, und eine so lange Beschäftigungszeit ist für jüngere Arbeitnehmer nicht zu erreichen.
Die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfristen könnte man daher als mittelbare Altersdiskriminierung bewerten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Kritik allerdings (zu Recht) zurückgewiesen, d.h. die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfristen für rechtens erklärt (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 14/320 Altersdiskriminierung und Kündigungsfrist).
Wann sind Unterschiede bei der Abfindung eine Diskriminierung wegen des Alters?
Seit jeher werden Abfindungen unter Berücksichtigung des Alters und/oder der Dauer der Betriebszugehörigkeit festgelegt, und zwar so, dass sich ältere Arbeitnehmer besser als jüngere stehen und/oder dass Arbeitnehmer mit einer längeren Betriebszugehörigkeit besser wegkommen als Kollegen mit kürzerer Betriebszugehörigkeit. Fraglich ist daher aus Sicht der Arbeitnehmer, die altersbedingt eine geringere Abfindungen als ihre Kollegen erhalten, ob hier eine verbotene Diskriminierung wegen des Alters vorliegt.
Aber auch ältere Arbeitnehmer stehen sich bei Abfindungszahlungen oft schlechter als jüngere, nämlich dann, wenn ein Sozialplan vorsieht, dass die Erhöhung der Abfindung je nach dem Alter nur bis zu einem bestimmten Höchstalter gültig ist. Solche Regelungen sehen vor, dass ab einem bestimmten Höchstalter bzw. bei "Rentennähe" eine andere Abfindungsberechnung vorzunehmen ist (gespaltene Abfindungsformel).
Für "rentennahe" Arbeitnehmer heißt das, dass auf sie eine deutlich ungünstigere Abfindungsberechnung anzuwenden ist, der zufolge es nicht auf die Vergangenheit (Dauer der Beschäftigung, Lebensalter), sondern auf die Zukunft ankommt, d.h. auf die Einkommensverluste infolge des Bezugs von Arbeitslosengeld und der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente.
Nähere Information zu der Frage, welche Schlechterstellungen bei Abfindungszahlungen im Zusammenhang mit dem Alter erlaubt und welche verboten sind, finden Sie unter „Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung und Diskriminierung - Alter“.
Wo finden Sie mehr zum Thema Altersdiskriminierung?Weiterführende Informationen, die Sie im Zusammenhang mit dem Thema Altersdiskriminierung interessieren könnten, finden Sie hier:
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung und Diskriminierung
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung und Diskriminierung - Alter
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Allgemein
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Anwendungsbereich des gesetzlichen Schutzes
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Erlaubte Benachteiligungen
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Rechte Betroffener
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Behinderung
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Ethnische Herkunft, Rassismus
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Geschlecht
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Religion oder Weltanschauung
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Sexuelle Identität
- Handbuch Arbeitsrecht: Gleichbehandlungsgrundsatz
- Handbuch Arbeitsrecht: Mobbing
- Übersicht Handbuch Arbeitsrecht
Beiträge unseres Anwaltsteams zu aktuellen Gerichtsentscheidungen und anderen arbeitsrechtlichen Neuigkeiten im Zusammenhang mit dem Thema Altersdiskriminierung finden Sie hier:
Arbeitsrecht aktuell 2022
- Update Arbeitsrecht 20/2022 Arbeitsgericht Arnsberg: Die Ablehnung eines Bewerbers, der die Altersgrenze überschritten hat, ist keine Altersdiskriminierung
- Update Arbeitsrecht 12/2022 Arbeitsgericht Koblenz: Diskriminierung durch Suche nach „coolen Typen“ in Stellenausschreibung?
Arbeitsrecht aktuell 2021
Arbeitsrecht aktuell 2020
- Update Arbeitsrecht 23|2020 LAG Baden-Württemberg: Zulässige Ablehnung eines Bewerbers, der zuvor altersbedingt ausgeschieden ist
- Arbeitsrecht aktuell: 20/056 Einigungsstelle kann Rentennahe von Sozialplanleistungen ausschließen
Arbeitsrecht aktuell 2019
- Arbeitsrecht aktuell: 19/173 Wirksamkeit von Spätehenklauseln
- Arbeitsrecht aktuell: 19/136 Geschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne des AGG
Arbeitsrecht aktuell 2018
- Arbeitsrecht aktuell: 18/312 Altersbefristung bei Arbeitsverträgen mit Rentnern rechtens
- Arbeitsrecht aktuell: 18/301 Kürzung von Witwenrenten bei großem Altersunterschied
- Arbeitsrecht aktuell: 18/112 Kurz vor dem Abschluss stehendes Studium als Stellenanforderung
- Arbeitsrecht aktuell: 18/072 Weiterbeschäftigung nach Renteneintrittsalter
- Arbeitsrecht aktuell: 18/046 Keine Witwenrente bei zu großem Altersunterschied
Eine vollständige Übersicht unserer Beiträge zum Thema Diskriminierungsverbote - Alter finden Sie unter: Urteile und Kommentare: Diskriminierungsverbote - Alter
Letzte Überarbeitung: 10. Oktober 2022