FRIEDENSFORUM (2): Kann die Bösartigkeit der menschlichen Natur überhaupt Frieden schaffen? Kant und Freud über "Natur" und "Todestrieb" ...
2. Mai, 2023 um 9:16 Uhr,
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Blogger: Als ich den folgenden Artikel gelesen hatte, wurde ich an die These vom "Todestrieb" des Menschen, wie sie Sigmund Freud 120 Jahre nach Kant und 120 vor unserer Gegenwart aufgestellt hatte erinnert. Freud meinte, das Organische - also das Leben, ob Pflanzen, Tiere oder der Mensch - sei aus dem Anorganischen - dem Toten - entstanden und kommt erst zur Ruhe, wenn es in den anorganischen Zustand - dem Sterben und dem Tod - zurückgekehrt ist. Das sei der endliche und wirkliche Frieden, nach dem sich - wohl mehr unbewusst - jede Kreatur, jede Pflanze und jeder Mensch sehnt: Eben der Todestrieb. Damit im Einklang steht Immanuel Kants Überzeugung, dass nicht der mensch letzten Endes den Frieden schafft, sondern früher oder später die Natur selbst.
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Zweiter Beitrag
https://www.deutschlandfunkkultur.de/frieden-krieg-immanuel-kant-100.html
Unser moderner Begriff von Frieden geht nicht zuletzt auf eine Schrift von Immanuel Kant von 1795 zurück. Der Titel setzt sich gleich fest. Er klingt nach einem süßen Traum. Und in diesen Tagen wie blanker Hohn: „Zum ewigen Frieden“.
Wer glaubt, das Thema hätte sich einem Denker der Aufklärung als philosophische Notwendigkeit aufgedrängt, irrt. Die Aufklärung mag Träumer und Fantasten hervorgebracht haben; ihrem Selbstverständnis nach war sie zwar von Optimismus geprägt, was das Wesen der Welt und die Menschenfreundlichkeit dessen anbelangt, der ihr einen Schöpfungsplan untergeschoben hat; aber – beim Blick auf diese Welt war man ausgesprochen realistisch.
Es bedurfte eines Wirtshausschildes, dessen Bild Kant entdeckte, mit dem Schriftzug „Zum ewigen Frieden“, um dem Philosophen diese Idee einzugeben. Der ewige Friede ist also nur ein Wirtshausname. Und, ironischer Coup: Das Bild unter dem Schriftzug zeigte einen Friedhof.
Die unterschiedlichen Assoziationen, die das Bild von diesem Wirtshausschild 1795 und 2022 provozieren, machen mit verstörender Wucht klar, dass in diesen Tagen nicht nur ukrainische Wohnungen, Leben, Biografien in Schutt und Asche gelegt werden, sondern bei uns auch der Selbstbetrug einer ganzen Generation, der schon mit dem Namen anfing, den sie sich selbst gab: „Nachkriegsgeneration“ – als habe er schon geherrscht, der ewige Friede.
Kants Schrift ist weithin bekannt. Die meisten haben aber nur den Titel gelesen. Sonst hätten sie gelesen, wie weit wir immer schon, nicht erst in diesen Wochen, von der Erfüllung entfernt waren, und wie wenig wir dazu beigetragen haben; wie viel Aufwand stattdessen betrieben wurde, um die Illusion zu erzeugen, wir würden alles tun für den Frieden; Kulissen – weggeblasen von russischen Haubitzen. Hinter den Kulissen kommt eine Bühnenmaschinerie zum Vorschein, die da immer war, verhängt mit Illusionen.
Genau das unterscheidet unsere postromantische Gegenwart von der Aufklärung und der Art, in der deren Vordenker sich der Welt näherten: scharf, schonungslos bis zur Grausamkeit in den Konsequenzen ihrer Analysen, aber trotzdem mit einer Hoffnung am Ende.
Der Preis dieser aufklärerischen Hoffnung besteht darin, dass man die Konsequenzen der schonungslosen Analysen mit in Kauf nimmt. Sich nur der Hoffnung hinzugeben, die Analyse mit ihren Konsequenzen aber wegzulassen, ist fatal. Genau das haben wir getan – und deshalb jetzt das Gefühl, in einer anderen Welt aufgewacht zu sein. Leben wir seit dem 24. Februar (2022) wirklich in einer anderen Welt?
„Der Krieg selbst“, schreibt Kant, „bedarf keines besonderen Bewegungsgrundes, sondern scheint auf die menschliche Natur gepfropft zu sein.“ Kant spricht von der „Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freien Verhältnis der Völker unverhohlen blicken lässt“. „Der Friedenszustand unter Menschen“ sei „kein Naturzustand, der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d. i. wenn gleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben.“
Die Zeit des Kalten Krieges haben viele als Zeit des Friedens missverstanden. Das war nicht nur wegen der Atombombe absurd, sondern auch angesichts beständiger kriegerischer Auseinandersetzungen auf der Welt und mit Blick auf die Bedeutung, die Kriegswaffen für das Bruttoinlandsprodukt etwa der Bundesrepublik hatten und haben. Dabei hätte es genügt, nur den ersten Satz von Kants Schrift zu lesen, um sich vor Augen zu führen, wie illusionär unter diesen Vorzeichen jede Rede vom Frieden gewesen ist. Der Satz lautet nämlich:
„Es soll kein Friedensschluss für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.“
Wer rüstet, wer Rüstungsgüter liefert, wer Atombomben stationiert, wer Stellvertreterkriege in aller Welt führt, unterstützt oder duldet, ist da schon raus, bevor der Philosoph seine aufklärerische Gedankenmaschine überhaupt in Gang gesetzt hat. Den Frieden schafft in Kants Konstruktion übrigens nicht der Mensch, sondern früher oder später die Natur selbst. Es sei ein „Mechanismus der Natur“, eine „waltende Vorsehung“, dass am Ende Frieden stehe. „Die Natur“, so Kant „w i l l unwiderstehlich, dass das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte.“
Die Zeiten der Abwesenheit von feindlichen Raketeneinschlägen in Europa, die viele als Frieden erlebten, haben auch nicht wenige von denen, die Kants Text ganz gelesen hatten, als Epoche des Fortschritts auf dem Weg zum großen Ziel gesehen. Schließlich kommt bei Kant schon die Sache mit dem Handel vor, von der sich Angela Merkel fast schon obsessiv hat blenden lassen:
„Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann“, schreibt Kant. „Weil nämlich unter allen, der Staatsmacht untergeordneten, Mächten … die Geldmacht wohl die zuverlässigste sein möchte, so sehen sich Staaten (freilich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern.“
In der Formulierung steckt Kants Distanz zum Gedanken des Friedens stiftenden Handels. Und der Philosoph geht weiter: Ein Völkerbund kommt vor, die Idee vom Völkerrecht, vom Staatsbürgerrecht, vom Menschenrecht.
In alledem erkannte sich die sogenannte Nachkriegsordnung wieder: Man wähnte sich aufgeklärt. Kant hingegen bleibt realistisch, er weist darauf hin, es könne an „Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) nur das n e g a t i v e Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden, und sich immer ausbreitenden B u n d e s“ treten, um „den Sturm der rechtscheuenden, feindseligen Neigung auf(zu)halten, doch mit beständiger Gefahr ihres Ausbruchs“.
1795 hat Kant diesen Gedanken eines „den Krieg abwehrenden … Bundes“ entwickelt, um „den Sturm der ... feindseligen Neigung auf(zu)halten“ – im Angesicht „beständiger Gefahr ihres Ausbruchs“. Über 200 Jahre später ist die Welt immer noch so organisiert, dass sie sich von einem Einzelnen an einen Punkt zurückbomben lassen kann, an dem sämtliche philosophischen Gedanken zum Frieden, vor allem aber alle Aktivitäten zu dessen Sicherung, die Generationen von Verantwortlichen in Politik und Diplomatie unternommen haben, null und nichtig erscheinen.
Wie kann das sein? Die Antwort liegt darin, dass es einfach ist, schöne Worte zu zitieren, die in alten Texten stecken, aber etwas anderes, deren Gedanken nachzuvollziehen. Für alle, die sich und uns eingeredet haben, die Sache mit dem Handel sei schon der ganze Trick der Natur auf dem Weg zum Frieden, war angesichts des Wirtshausschildes der Umschlag vom süßen Traum zu blankem Hohn immer programmiert. Das ist unsere Schuld, nicht die von Kant.
„Das Recht der Menschen“, schreibt der im Anhang zu seiner Schrift, „muss heiliggehalten werden, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten.“
Vielleicht hat man „Zum ewigen Frieden“ in der Vergangenheit zu oft zitiert und zu selten gelesen.