Klimawende ohne "Gebäudewende" wird es nicht geben - Lehm, Pilze und andere vernakuläre Baustoffe, statt Kies, Beton und Stahl ...
https://reset.org/gebaeudewende-das-co2-schwergewicht-braucht-eine-schnelle-transformation/
Ein Haus als ein sich selbst regulierendes Ökosystem, das sich mit Energie versorgt und die Räume im Sommer kühlt und im Winter wärmt. Das sich mit den Bedürfnissen seiner Bewohner*innen wandelt und in dessen Grün, Tiere ein Zuhause finden. Und das, eingebunden in ein Netzwerk mit den Nachbarhäusern, Wärme und Energie teilt und speichert. Wird es nicht mehr gebraucht werden seine Bestandteile wieder zum Baustoff für neue Häuser oder kompostieren sich selbst. Sehen so die nachhaltigen Gebäude der Zukunft aus?
Warum wir Gebäude neu denken müssenDer Klimawandel stellt uns vor große Herausforderungen: Einerseits gilt es, unsere CO2-Emissionen radikal zu reduzieren, um das weitere Aufheizen unseres Planeten aufzuhalten. Gleichzeitig müssen wir resilienter gegen die schon jetzt spürbaren Auswirkungen werden.
Die CO2-Emissionen gehen nur runter, wenn neben der Energie-, Mobilitäts- und Agrarwende auch der CO2-Fußabdruck unserer Gebäude auf ein neues, niedrigeres Niveau schrumpft. Der Gebäudesektor ist dabei, neben der Industrie und dem Verkehr, einer der größten Konsumenten von Energie in Deutschland: rund ein Drittel des Endenergieverbrauchs wird hier benötigt. Der Großteil des Energieverbrauchs – rund 90 Prozent – fließt dabei in die Heizung und Warmwassererzeugung – und diese basiert nach wie vor auf fossiler Primärenergie wie Gas und Öl. Ein Drittel dieses Endenergiebedarf wird dabei von Nicht-Wohngebäuden und zwei Drittel von Wohngebäuden verursacht.
Die CO2-Emissionen erhöhen sich noch weiter, wenn auch sämtliche Vorketten einbezogen werden, also die Emissionen, die durch die bei der Produktion von Baustoffen, der Anlagentechnik und dem Bau selbst anfallen. Damit hat allein der Gebäudesektor einen Anteil von rund 40 Prozent an den gesamten CO2-Emissionen Deutschlands – und auch weltweit ist das Bild ähnlich. Dazu kommt: Der Bausektor ist in Deutschland für fast die Hälfte des nationalen Abfallaufkommens verantwortlich.
Was diese Zahlen deutlich machen: Der Gebäudesektor ist ein emissionsintensives Schwergewicht, das seinen ökologischen Fußabdruck zur Erreichung der Klimaziele massiv verringern muss.
Im Gebäudebereich stehen große Transformationen anLaut der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) sollen alle neuen Gebäude ab 2028 emissionsfrei sein. Bei Neubauten, die Behörden nutzen, betreiben oder besitzen, soll das sogar schon ab 2026 gelten. Bestehende Gebäude sollen schrittweisen bis 2050 zu Nullemissionsgebäuden werden.
Verbindlich ist der Beschluss des EU-Parlamentes allerdings noch nicht; die finale Ausgestaltung der europäischen Richtlinie wird noch festgelegt. Doch wie auch immer die konkreten Formulierungen der Gebäuderichtlinie lauten werden: Je schneller die CO2-Emissionen im Gebäudebereich runter gehen desto besser, denn die Zeit zur Erreichung der Klimaziele ist knapp.
Wo also mit der Transformation anfangen? Deutschland verfügt über einen sehr großen Gebäudebestand, der trotz teilweiser energetischer Sanierung noch immer einen zu hohen Wärmebedarf besitzt. Gleichzeitig überdauern unsere Häuser Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Daher ist der Energieverbrauch in der Nutzungsphase eine wesentliche Stellschraube, um die Emissionen des Sektors zu reduzieren. Der größte Hebel ist hier die energetische Sanierung bestehender Gebäude, denn so muss weniger Energie für Wärme und Kühlung aufgewandt werden. Außerdem ist die Wärmepumpe in nahezu allen vorliegenden Szenarien zur Klimaneutralität die zentrale Technologie, um Gebäude zu beheizen. In urbanen Gebieten sind zudem die Verdichtung bestehender Wärmenetze als auch umfassende Lösungen auf Quartiersebene wesentlich.
Um in Deutschland Klimaneutralität zu erreichen, ist zusätzlich unverzichtbar, nicht nur die Betriebsphase von Gebäuden, sondern auch Neubauten in den Blick zu nehmen. Hier gilt es, sämtliche Emissionen im Lebenszyklus eines Gebäudes zu senken, also von der Herstellung der Baustoffe, dem Bau selbst, den Reparaturen, der Sanierung und dem Abriss oder Rückbau.
Gefragt sind dabei auch neue Materialien und Verfahren bzw. die Wiederbelebung altbekannter. „Jahrtausend alte Gebäude aus Lehm, wie im Jemen oder Westafrika, sind nachhaltig und vernakulär, also den regionalen Anforderungen eines Ortes entsprechend angepasst. Auch der Beton des alten Roms wurde mit viel weniger Hitze gebrannt als der moderne, und ist wesentlich stabiler und langlebiger. Wenn wir Hochhäuser bauen, dann muss sich deren Konstruktion und Material ebenfalls aus den klimatischen und geografischen Bedingungen ergeben. Mit zukünftiger Technik werden wir vielleicht "lebendige" Hochhäuser sehen, aus Materialien wie Lehm oder Mycelium, also Pilzfäden“, sagt Hubert Klumpner, Professor für Architektur und Städtebau an der ETH Zürich und Gründer des Büros Urbanthinktank_next.
Außerdem ist es dringend nötig, dass die im Bau verwendeten Materialien kreislauffähig werden, denn aktuell werden nur knapp sieben Prozent des Abfallaufkommens im Gebäudebereich wiederverwendet.
Erneuerbare Energien und Digitalisierung machen neuartige Gebäude möglichInnerhalb der vorrangig zentralistisch geprägten Energiesysteme der Vergangenheit wurden Gebäude vor allem als Abnehmer von Wärme und Strom gesehen. Doch mit der Energiewende und neuen, dezentralen Versorgungs- und Erzeugungsstrukturen – wie Photovoltaik, Solarthermie und Wärmepumpen – wandelt sich das. Und mit Elektromobilität, neuartige Batterien und Speicherlösungen werden Gebäude auch zu Produzenten und Selbstversorgern.
Dazu kommt noch eine weitere Entwicklung: Die fortschreitende Digitalisierung des Energiesystems und des Gebäudesektors, angefangen bei intelligenten Stromzählern bis hin zu Smart-Home und Smart-Building-Lösungen.
Unter digitalen Gebäudetechnologien werden dabei verschiedene Anwendungen verstanden, die den Energieverbrauch beziehungsweise die Emissionen von Gebäuden entlang ihres Lebenszyklus senken. Das können zum Beispiel digitale Lösungen sein, die bei der nachhaltigen Planung in der Bauphase unterstützen, den Energieverbrauch in der Nutzungsphase steuern oder neuartige Sharing-Ansätze ermöglichen oder bei der Rücklaufführung der Materialien beim Rückbau helfen. In der Digitalisierung von Daten und dem Zugang zu verschiedenen Datensätzen steckt außerdem das Potenzial, den Bausektor in Bezug auf seine Auswirkungen auf das Klima besser zu messen und verstehen, konkrete Lösungsstrategien abzuleiten und Fortschritte zu messen.
Das Potenzial digitaler Technologien für einen nachhaltigeren Gebäudesektor wird als groß eingeschätzt. So gehen Simon Hinterholzer und Severin Beucker vom Borderstep-Institut in der Studie „Klimaschutz und Energieeffizienz durch digitale Gebäudetechnologien“ davon aus, dass alleine durch „einen ambitionierten Ausbau von Gebäudeautomation kurz- bis mittelfristig (2030) bis zu 14,7 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Gebäudesektor eingespart werden können.“ Das würde fast 30 Prozent des im Klimaschutzgesetz formulierten Reduktionsziels für den Gebäudesektor bedeuten. Gleichzeitig haben auch digitale Technologien sowohl in der Produktion und dem Training als auch im Betrieb und der Entsorgung einen großen Energie-und Ressourcenverbrauch. Daher sollte aus Nachhaltigkeitsperspektive auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes digitaler Technologien nicht ungestellt bleiben.
Im neusten von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Greenbook „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“ begeben wir uns daher auf die Suche nach Häusern und Quartieren, die wie Ökosysteme funktionieren. Wir stellen nachhaltig-digitale Lösungen vor und befragen Expert*innen, wo schon heute digitale Technologien im Gebäudesektor eingesetzt werden, um CO2-Emissionen zu senken, wie es um deren Potenzial und den nachhaltigen Einsatz steht, und welche Schritte nötig sind, um die Transformation zu beschleunigen.