Philosophie-Professor: Die Klima-Aktionen der „Letzten Generation“ kann man rechtfertigen!
Der Mannheimer Philosophie-Professor Bernward Gesang ist der Überzeugung, dass Spenden dem Klima mehr helfen als persönlicher Verzicht. Und dass die Aktionen der „Letzten Generation“ zu einem gewissen Grad in der Tradition von Martin Luther King oder der Frauenrechtsbewegung zu rechtfertigen sind. Redakteurin Cornelia Sprenger hat sich vor einem Auftritt in der Elmshorner Nordakademie mit ihm unterhalten.
Bernward Gesang (55) ist ein Philosoph, Hochschullehrer und Buchautor, der ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen stammt. Nach Stationen in Zürich, Konstanz, Essen, Basel und Düsseldorf wurde er im Jahr 2009 auf den Lehrstuhl für Philosophie und Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim berufen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Normative Ethik sowie die Angewandte Ethik und hier besonders die Wirtschafts- sowie Klimaethik.
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Bei Wissenschaftlern, die sich mit dem Thema Klimapolitik auseinandersetzen, denkt man erstmal an Meteorologen, Ozeanographen oder vielleicht auch noch an Politikwissenschaftler. Was kann die Philosophie da beitragen?
Philosophie hat den großen Vorteil, dass man mit ihr nicht nur die Mittel, sondern auch die Ziele selbst diskutieren kann. Zum Beispiel gilt heutzutage nationale Klimaneutralität als das höchste Ziel des Klimaschutzes. Das bedarf jedoch philosophischer Reflexion. Denn Klimaschutz ist ein globales Problem und kann auch nur global gelöst werden. Es nützt Deutschland also nur wenig, klimagerecht zu sein, wenn die anderen Staaten nicht mitziehen.
Sie schreiben in mehreren Artikeln, dass Sie auch persönliche Veränderungen des Emissionsverhaltens für nicht zielführend halten. Bedeutet das, dass jeder so viel fliegen und so viel Fleisch essen kann, wie er will?
Das bedeutet vor allem, dass man sich Gedanken machen muss, ob das Individuum zum Klimaschutz einen wesentlichen Beitrag leisten kann, wenn die Politik es derzeit offensichtlich nicht hinbekommt. Das ist sicherlich der Fall. Aber wenn man sich die Handlungsempfehlungen anschaut: Nicht in den Urlaub zu fliegen, die Kulturpraxis des Grillens aufzugeben, die Autoschlüssel wegzuwerfen. Das trägt zwar unter anderem zur Beruhigung des Einzelnen bei. Aber Geld zu spenden, ist deutlich effektiver. Wenn ich ein Jahr lang kein Fleisch esse, dann spare ich 450 Kilogramm an Emissionen und 650 Euro an Geld ein. Wenn ich dieses Geld in ein vernünftiges Entwicklungsprojekt, etwa zum Schutz der Regenwälder, einbringe, kann ich dadurch bis zu 28.000 Kilogramm Emissionen sparen.
Dann wäre es doch am sinnvollsten, durch Auto- und Fleisch-Verzicht gespartes Geld in Spendenprojekte zu investieren.
Das wäre natürlich möglich, man kann beides verbinden. Zumal sich manche Menschen als Heuchler vorkommen, wenn sie ihren eigenen Lebenswandel unangetastet lassen. Wir müssen aber auch bedenken, dass die Motivation zum Klimaschutz ein knappes Gut ist. Viele Leute jenseits der klassischen grünen Klientel, die jetzt merken, dass mit dem Klima etwas nicht stimmt, werden abgeschreckt, wenn man ihnen gleich mit einem kompletten Wandel des Lebensstils kommt. Wir wissen aus der ersten rot-grünen Koalition, dass man sich einfacher damit tut, Geld zu zahlen, als sein Verhalten umzustellen. Die Ökosteuer-Erhöhung beim Benzin hat nicht dazu geführt, dass die Leute weniger Auto fahren, sondern dazu, dass mehr bezahlt wurde. Mit einem Spendenaufruf holt man die Menschen deshalb eher ab, als mit Verboten.
Was wären denn die richtigen Projekte, die man unterstützen sollte, um den Klimawandel aufzuhalten?
Das sind Projekte, die sowohl Armutsbekämpfung als auch Klima- und Artenschutz verbinden. Man kann Bauern unterstützen, die sonst den Regenwald an Palmölkonzerne verkaufen würden, um überleben zu können. Wenn man diesen Menschen ein Einkommen ermöglicht, ohne dass sie den Regenwald verkaufen, kann man die Abholzung vermeiden, CO₂ einsparen, Artenvielfalt betreiben und auch noch Armut bekämpfen.
Noch viel mehr Geld als jeder Einzelne könnte natürlich ein Staat spenden. Wäre Ihre Strategie also auch die richtige für Deutschland?
Ja, ich denke, dass es effektiver wäre, nicht alle Mittel in die Energiewende im Innern zu investieren. Statt alles nur auf ein Ziel zu setzen, wäre ein Mix ideal. Zum Beispiel wäre der Schutz des Regenwaldes eine sehr effektive Investition. Warum hat Deutschland nicht organisiert, dass die finanziellen Verluste, die Brasilien durch den Erhalt des Regenwaldes erleiden würde, ausgeglichen werden? Man geht da von 1,5 bis 2 Milliarden Euro im Jahr aus. 2008 hatte der Präsident von Ecuador den westlichen Staaten genauso ein Angebot gemacht. Das hat Deutschland abgelehnt. Aber genau das wäre ein super effizienter Weg gewesen, Emissionen zu sparen.
Kommen wir zu einem etwas anderen Thema: Für wie ethisch halten Sie die Aktionen der sogenannten „Letzten Generation“?
Die Aktionen, die die „Letzte Generation“ betreibt, gehören in die Tradition des zivilen Ungehorsams. Auch Martin Luther King hat zivilen Ungehorsam betrieben, ebenso die deutsche Atomwende-Bewegung oder auch die Frauenrechtsbewegung. Wir verdanken dem zivilen Ungehorsam also ziemlich viel. Es gibt aber eine Reihe von Kriterien, damit ziviler Ungehorsam gerechtfertigt ist: Wie gewaltfrei wird er organisiert? Wird die Gerichtsbarkeit anerkannt? Ist er moralisch motiviert? Das, was Trump oder die AfD machen, erinnert teilweise zwar auch an zivilen Ungehorsam. Aber ihre Aktionen sind nicht moralisch zu rechtfertigen, weil es nur um das Wohl einer bestimmten Gruppe und nicht ums Allgemeinwohl geht.
Wie würden Sie vor diesem Hintergrund also die Aktionen der „Letzten Generation“ einordnen?
Wenn man alles zusammennimmt, dann ist der zivile Ungehorsam der „Letzten Generation“ durchaus zu rechtfertigen. Weil er diesen Kriterien meistens gerecht wird. Zumindest, wenn er gewaltarm abläuft. Natürlich muss organisiert werden, dass der Notarztwagen bei einer Straßenblockade durchgelassen wird oder schwangere Frauen Staus verlassen können. Was ich allerdings problematisch sehe, ist die ständige Wiederholung der Aktionen. Ziviler Ungehorsam verursacht immer materielle und psychische Kosten. Deshalb hat er auch die Verpflichtung, sich auf Proteste zu konzentrieren, die Erfolg versprechen.
Würden Sie also sagen, dass der Widerstand der „Letzten Generation“ inzwischen nur noch Symbolcharakter hat?
Wenn die „Letzte Generation“ immer wieder ihre Straßensperren wiederholt, dann hat man starke Abnutzungserscheinungen. Die Bürger werden ablehnender in ihrem Verständnis, die Presse berichtet weniger, es besteht die Gefahr einer Radikalisierung. Deshalb denke ich, die ersten Aktionen waren sinnvoll, aber inzwischen rechtfertigen die Aktionen den ganzen Ärger wahrscheinlich nicht mehr. Es ist aber Unsinn, die „Letzte Generation“ mit der RAF zu vergleichen. Denn einen derartigen Prozess der Radikalisierung hat sie einfach noch nicht vollzogen.
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