"Und säh‘ uns 'Vater Teut' allhier: Er reicht‘ uns froh die Hand!" -/- Nicht nur die Oberfläche des "braunen Problems" sehen ...
Von Stefan Weinert
Sehr geehrte Leserschaft,
zunächst möchte ich Sie an meinen Artikel Wie aus dem "Schwur von Buchenwald" die deutsche offiziell a) offene und b) unterschwellige Verharmlosung der Nazi-Verbrechen wurde" hinweisen. Dort heißt es an einer Stelle: "Neben den schweren Verbrechen aufgrund der Rassengesetze lenkt der langjährige Kommunalpolitiker [Ludwig Zimmermann in seinem Buch] den besonderen Blick auf Vorgänge in den Dörfern und Kleinstädten [Oberschwabens] und zeigt am Beispiel der völlig misslungenen Säuberung nach 1945 auf, dass die Spuren des Leugnens und Verdrängens bis in die Gegenwart reichen und das aktuelle Geschehen [in Oberschwaben] mit beeinflussen.
Weiter heißt es in dem Artikel: "Heute beklagen Politiker der AfD den „Gemütszustand eines total besiegten Volkes“ (Höcke) und beanspruchen „das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ (Gauland). Sind Scham und Trauer angesichts der deutschen Verbrechen wieder passé?" (Buchbesprechung - Quelle) - Ich frage allerdings: Waren und sind Scham und Trauer angesichts der deutschen Verbrechen 1933 bis 45 in dem Maße überhaupt vorhanden und je vorhanden gewesen, damit das, was bis heute in der deutschen Politik und Gesellschaft offen brennt und wie im Unterholz schwelet, sein Unwesen treibt? Ich meine; nein!
Der fanatisch-nationale und gleichzeitig andere Völker und Ethnien exkludierende Stolz, ein echter "Teutscher" zu sein, steckt seit Jahrhunderten, ja eigentlich - fälschlicher Weise auch noch - seit 2.000 Jahren in unseren mitteleuropäischen Genen. Schon der römische Geschichtsschreiber TACITUS (58 bis 120 nach Christus) schreibt darüber (siehe unten). Und dieser überzogene "Stolz" reicht leider hinein bis nach Oberschwaben und bis in die Stadt Ravensburg - bis heute. Und das ist keine "falsche Tatsachenbehauptung", sondern wird Jahr für Jahr belegt.
Als sich in den Jahren 2016/17 einige wenige Miniblogger und Nörgelbürger gegen jedwede Verharmlosung der braunen Vergangenheit, sowohl bundesweit, als in der Region stellten ("Braune" Villa als Festabzeichen, Verbotspetition AfD, Vergleich und Gleichsetzung NSDAP und AfD), da wollte niemand von den Politiker/innen etwas davon wissen - ganz im Gegenteil, die damals schon "politisch Wachen" wurden gescholten. Sehr peinlich der Auftritt des ehemaligen Kanzlerkandidaten der CDU Armin Laschet, der in diesen Tagen (sieben Jahre zu spät) das nachplappert was bereits in dieser Petition von 2017 steht. Das hätte er bereits während der Fasnet 2016 (noch vor den einfachen Bürgern) tun müssen. Dann wäre die AfD nicht in den Bundestag eingezogen und er wäre Bundeskanzler.
Und das gilt nicht nur für Herrn Laschet, das gilt für alle Politiker/innen der demokratischen Parteien, die seitdem tätig (untätig) sind oder waren. Auch hier in Ravensburg vor Ort.
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Alljährlich feiert die Stadt Ravensburg das "Fest aller Feste" - das "Rutenfest". Der Vorsitzende der Rutenfestkommission (RFK) nimmt es wohl mit der Demokratie nicht so ernst. In dieser Dreiviertelwoche des "Als gäbe es kein Morgen" im Sommer, steht die Stadt Kopf und da dominieren und bestimmen Trommlerzüge die Gesetze. Die bekanntesten Trommlergruppen sind das "Trommlerkorps" (TROKO) und die "Landsknechte". Jede Gruppe hat - über das allgemeine Rutenfestliedgut hinaus - noch ihre speziellen Liedtexte.
Bei den "Landknechten" (die gab es tatsächlich während des Dreißigjährigen Krieges) ist folgendes Lied in der Setlist:
1. Es leben alle Schützen hoch
Im deutschen Vaterland!
Von biedern Schützen stammen wir,
Und säh‘ uns Vater Teut allhier:
Er reicht‘ uns froh die Hand!
2. Wißt Ihr, wer Deutschlands Retter war?
Ein Schütz, der Held Armin! [9 nach Christus im Teutoburger Wald]
Er schlug bei hellem Morgenrot
Der Römer Legionen tot,
Und wir sind frei durch ihn!
3. Zwei ganze tausend Jahre frei
Und deutsch wie vor durch ihn.
Teuts Sprache sprechen alle noch,
Drum, wer sie redet, spreche: „Hoch!
Hoch leb‘ der Schütz Armin!“
4. Doch mehr als Ruhm und Vaterland
Ist uns die Menschheit noch!
Den edlen Frieden geb‘ ihr Gott!
Wer sich erbarmet fremder Not,
Wer Mensch ist, lebe hoch!
David Friedrich Gräter, ca. 1780
Website der "Landsknechte" RavensburgDas ist nicht nur vollkommene Geschichtsklitterung, sondern erklärt uns, warum es in Oberschwaben/Ravensburg so ist, wie es ist. Zwar klingt die letzte Strophe irgendwie universell und versöhnlich, doch ihre Botschaft ist irgendwie untergegangen ...
Zwar heißt es auf selbiger Website "erklärend": " ... Die Landsknechte sind als Gruppe des Ravensburger Rutenfests politisch völlig neutral. Die Landsknechts- lieder müssen stets im Kontext einer historischen Kostüm- und Spielzugs- gruppe gesehen werden!
Das Wort "müssen" ist eine Überstülpung der Landsknechte und für mich völlig inakzeptabel. Denn "Vater Teut" war es, der den Holocaust "befehligte", "Vater Teut" ist es, der die AfD und Neo-Nazis befeuert.
Nun sollte die Leserschaft wissen, dass "Vater Teut" - also der Stammvater der Deutschen, der angeblich direkt vom biblischem Noah abstammt (siehe unten) - in der Literatur und den dort enthaltenen Geschichten und Liedern der vergangenen Jahrhunderte hoch gepriesen wird auch noch verschieden Namen trägt.
Beim römischen Geschichtsschreiber Tacitus erhält er den Namen Tuisto:
„Als Stammväter und Begründer ihrer Völkerschaft verherrlichen sie [die Germanen] in alten Liedern – der einzigen Art historischer Überlieferung, die es bei ihnen gibt – Tuisto, einen der Erde entsprossenen Gott, und seinen (Tuisto's] Sohn Mannus.“
In anderen alten Texten - Liedern und Gedichten - wird "Vater Teut" entweder Ascenas oder auch Tuiscon genannt:
"Ascenas den man nennt Tuiscon /
Derselbig war deß Gomers Sohn
Den Japhet [ein Sohn Noahs] nach der Sündfluht gbar /
Wie solchs die Schrifft bezeuget klar /
Als Nymbrot Babylon nam ein ...
Vom Vatter Noha gfertiget ab /
Der ihm auch disen rat eingab /
mit allen die von seinem Stam /
Daß Teutsche landt zu erst einnam /
Daselbst ein Regiment begundt
Quelle: Jaumann, Herbert (hrsg.). Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. S. 110.- Gefunden bei wikipedia
Bei Elias Schedius und Sigmund von Birken findet man Ausläufer dieses Mythos noch im 17. Jahrhundert. In Birkens Sächsischem Helden-Saal (1677) heißt es: „So ist dann / dieser Ascenas / ein Ertz-Vater der Teutschen gewesen, welche auch von den Ebreern [gemeint: Hebräer = Juden] / Aschenazim genennet werden."
Quelle: a.a.O., Seite 112 - wikipedia
Ein sehr aufhellender Text dazu ist auch noch dieser:
Männer! Männer! euer Kampf ist Wirbelflamme,
Die erzne Thürm wie Heu verschlingt!
Vater Teut! die hier – sie sind von deinem Stamme!
Wie wider die Entarteten ihr Auge Unmuth winkt!
Vaterland! So ruf ich euern Seelen,
Wenn hunderttausend Feinde drohn!
Vaterland! könnt ihr noch Feinde zählen? (…)
Vaterland! An eurer Stirne glänzt Thuiskons [Tuiscon] Namen!
Quelle: Anton von Kleins/Ignaz Holzbauer: Günther von Schwarzburg (Oper)
Joseph Martin Kraus (1756 bis 1792) erwähnt ihn in seinem Lied „Ich bin ein deutscher Jüngling“, einer Replik auf Klopstocks Vaterlandslied: „Wer nicht stammt von Thuiskon, der sehe nach dem Mädchen nicht.“
Das ist pure Rassenpolitik der Nazis und Verbot von "Mischehen".
In Klopstocks "Vaterlandslied" (gesungen von einem "deutschen Mädchen") heißt es im zweiten Teil:
Friedrich Gottlieb Klopstock, 1770
Du bist kein deutscher Jüngling,
Bist des lauen Säumens wert,
Des Vaterlands
Nicht wert, wenn du's nicht liebst, wie ich.
Du bist kein deutscher Jüngling.
Mein ganzes Herz verachtet dich,
Der's Vaterland
Verkennt, dich Fremdling! und dich Tor!
Ich bin ein deutsches Mädchen.
Mein gutes, edles, stolzes Herz
Schlägt laut empor
Beim süßen Namen Vaterland.
So schlägt mir's beim Namen
Des Jünglings nur, der, stolz wie ich
Auf's Vaterland,
Gut, edel ist, ein Deutscher ist.
Auch das ist Rassenwahn, wie 1933 bis 45 in Europa wütete.
Als Theologe und Semi-Historiker muss ich noch das Folgende hinzufügen. Der alte Noah hatte drei Söhne, die mit ihm und ihren Frauen und der Mutter die Sintflut überlebten. So jedenfalls die Mythe. Sie hießen Sem, Ham und Japhet.
- Auf Sem gehen die semitischen Sprachen Hebräisch und Arabisch zurück. Sem ist also der Urvater der Juden und der Araber (die später ab dem 6. Jahrhundert nach Christus zum Islam konvertierten).
- Ganz offensichtlich berufen sich die "Teutschen" (die "Deutschen" gibt es erst seit 1871) auf Japhet, wie wir den obigen Texten gesehen haben und - wie wir gleich sehen werden - grenzen sie sich damit gleichzeitig von all den "Entarteten" ab.
- Bleibt eben noch Ham, der Übeltäter. Der hatte nämlich nach der Sint-Flut (so die Erzählung) seinen betrunkenen Vater Noah völlig entblößt und nackt gesehen und nichts dagegen unternommen, sondern es "sensationsgeil" seinen Brüdern erzählt. Diese holten das Zudecken des Vaters dann sehr einfühlsam und respektvoll nach (Gensis 9, 21 ff). Als Noah das erfuhr, verfluchte er den Sohn Hams, der Kanaan hieß. Die Verfluchung Kanaans wurde zur Rechtfertigung der Versklavung der afrikanischen Bevölkerung durch Europäer herangezogen.
Wikipedia: Das früheste Beispiel hierfür findet sich bei Philon von Alexandria, einem jüdischen Philosophen des 1. Jahrhunderts. Philon deutet den Namen Ham als Hitze, was er mit Bosheit und Schwarzsein assoziiert. Dementsprechend seien auch Kanaan und dessen Sohn Nimrod, der nach jüdischer Tradition den Turm zu Babel errichtet habe, schwarz gewesen. Philon zieht daraus den Schluss, Sklaverei sei natürlich und gerecht, wenn Schwarze versklavt würden, nicht aber, wenn sie (er meint: Ägypter) Weiße (gemeint sind Juden) versklaven würden. Populär wurde diese Rechtfertigung der Versklavung von Afrikanern vor allem in den calvinistisch geprägten USA.
Sowohl in den USA als auch in Germany, aber auch in Frankreich und Italien, Polen und ... schießt der Faschismus wie Bohnenkraut aus dem Boden - einem Boden, der nie wirklich gesäubert und entgiftet wurde. Wen wundert's deshalb?
Der Slogan "Oberschwaben ist bunt" ist zwar löblich, aber er entspricht nicht ganz der vielschichtigen Realität. Und auch wenn es gut und richtig war, aber es reicht auch nicht aus, mit 9.000 Menschen "Gegen Rechts und für Demokratie" auf die Straße zu gehen, und dabei "nur" aktuell und an der Oberfläche des Problems, die AfD & Co. im Fokus zu haben. Es geht viel tiefer, es geht bis in die DNA - es ist seit 1945 immer da gewesen.