Aus gegebenem Anlass zur Erinnerung: Der Völkermord an den Armenier*innen (1915-1916) und die Rolle Deutschlands ... BRD-Kniefall vor Erdogan ...
Der Völkermord an den Armenier*innen (1915-1916)
https://www.genocide-alert.de/projekte/deutschland-und-massenverbrechen/armenien/
„Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“
Das war die Reaktion des damaligen Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg im Dezember 1915 auf einen Bericht der deutschen Botschaft in Konstantinopel über die Verbrechen der osmanischen Regierung an den Armenier*innen.
Vertriebene, die es in die syrische Wüste schafften, wurden in Lagern interniert. Hier starben täglich tausende an Hunger, Durst und den sich ausbreitenden Krankheiten. Im Juli 1916 beschloss der Gouverneur Salih Zeki die Lager zu schließen. Es kam zu einem Massaker an den verbleibenden 100.000-200.000 Armenier*innen. Banden von Freischärler*innen ermordeten anschließend die letzten Überlebenden im Auftrag der Regierung.
Etwa 1,5 Mio. Menschen fielen dem Genozid im Osmanischen Reich zum Opfer. Darunter Armenier*innen, aramäisch-syrische und chaldäische Christ*innen, sowie Pontosgriech*innen.
Deutschland und der Genozid an den Armenier*innenDas Deutsche Kaiserreich und das Osmanische Reich waren enge Verbündete. Militärisch und wirtschaftlich war das Bündnis für Deutschland vorteilhaft. Das Deutsche Reich entsandte eine stetig wachsende Zahl an Militärberatern ins Osmanische Reich, welche ab 1913 auch aktive Posten im osmanischen Heer übernahmen. Vom Osmanischen Reich aus wollte das Kaiserreich Großbritannien in Ägypten und in Persien angreifen, sowie der russischen Marine die Durchfahrt durch das Mittelmeer erschweren. Außerdem sollte mit dem Bau der Bagdadbahn eine durchgehende Bahnlinie von Berlin bis zum Persischen Golf geschaffen werden, um insbesondere Rohstoffe in das Kaiserreich zu transportieren.
Im Bilde über die Verbrechen der jungtürkischen Regierung war die Reichsleitung spätestens mit dem Bericht des damalige Botschafters in Konstantinopel, Hans Freiherr von Wangenheim im Juli 1915 an Reichskanzler Bethmann Hollweg, der schrieb: „Die Umstände und die Art, wie die Umsiedlung durchgeführt wird [zeigten], dass die Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten“. Folglich kann rückblickend davon ausgegangen werden, dass die deutsche Reichsleitung ab Juli 1915 von den Verbrechen an den Armenier*innen wusste. Die Handlungen, die dieser Bericht beschreibt, stellen zweifelsohne einen Völkermord dar – selbst wenn dieser Begriff erst 1944 geprägt wurde. Dafür spricht bereits, dass Raphael Lemkin, der Vater des Völkermord-Begriffs, diesen insbesondere unter dem Eindruck der Massaker an den Armenier*innen formulierte.
Bis dato war offiziell von Seiten der Osmanischen Regierung davon gesprochen worden, die armenische Bevölkerung aus kriegswichtigen Regionen zu deportieren. Begründet wurden die Deportierungen damit, dass die armenische Minderheit sich dem Feind anschließen könnte. Botschaftsberichte aus Konsulaten im Süden und Osten des Osmanischen Reiches hatten bereits im Mai auf die Verbrechen die mit den Deportationen einhergingen hingewiesen. Doch bis auf zwei Protestnoten des Botschafters Wangenheim unternahm die Reichsleitung nichts. Im Gegenteil: ranghohe deutsche Militärs befürworteten den Genozid sogar. So bezeichnete der deutsche Marine Attaché Hans Humann die Vorgehensweise gegen die Armenier*innen aus militärischer Sicht als „hart aber nützlich“.
Freiherr von Wagenheim verstarb im Oktober 1915 überraschend an einem Schlaganfall. Als sein Nachfolger Paul Graf von Metternich in einem Bericht nach Berlin darauf drängte, die deutsche Öffentlichkeit über die Machenschaften der jungtürkischen Regierung aufzuklären und diese unter Druck zu setzen lehnte Reichskanzler Bethmann Hollweg dies mit den eingangs zitierten Wortens kategorisch ab. Um einem Bruch mit dem Verbündeten aus dem Weg zu gehen, duldete die Reichsleitung den Genozid an den Armenier*innen. Wegen der zur Zeit des Ersten Weltkrieges herrschenden Pressezensur gab es keine Berichterstattung zu den Verbrechen an den Armenier*innen.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs konnte das Istanbuler Kriegsgericht beweisen, dass die Verbrechen an den Armenier*innen zentral und systematisch vorbereitet wurden. 17 angeklagte Haupttäter wurden zum Tode verurteilt. Weil die meisten aber ins Ausland geflohen waren wurden nur drei Todesurteile vollstreckt. Der damalige Innenminister Talat wurde 1921 von einem überlebenden Armenier in Berlin erschossen.
Die Bundesrepublik und der armenische GenozidBis heute lehnt es die Türkei als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reichs ab, die Verbrechen an den Armenier*innen als Völkermord zu bezeichnen. Diese Form der Genozid-Leugnung ist unter anderem auch die offizielle Position der Regierung von Aserbaidschan. Neben Armenien erkennen derzeit über 30 Staaten die Ereignisse aus den Jahren 1915/16 als Genozid an (Stand: 2023), darunter Frankreich, Russland, Kanada und die Schweiz. Auf solche Anerkennungen folgte teils heftiger Protest von Seiten der türkischen Regierung. Die Türkei argumentiert, dass die Armenier*innen Opfer von Bürgerkriegswirren und Hungersnot wurden.
Der Völkermord an den Armenier*innen und die Rolle des deutschen Kaiserreichs wurden in Deutschland lange nicht thematisiert. Da das deutsche Kaiserreich die Verbrechen an den Armenier*innen geduldete hatte, wurde es zum Mittäter. Erst nach über 100 Jahren konnte sich der Deutsche Bundestag zu einer gemeinsamen Resolution durchringen, welche die damaligen Geschehnisse als Völkermord einstufte. Auch medial wurde das Thema erst in den letzten Jahren aufgegriffen. Das Auswärtige Amt verfügt heute über die einzig zugängliche Sammlung an Dokumenten zu den Verbrechen von 1915/16.
Als erstes deutsches Staatsoberhaupt hat Bundespräsident Joachim Gauck am 23. April 2015 bei der Gedenkfeier zum hundertsten Jahrestag die Verbrechen an den Armenier*innen als Völkermord bezeichnet. Er führte an: „In diesem Falle müssen auch wir Deutschen insgesamt uns noch der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter Umständen sogar Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern geht.“
Seit dem Jahr 1999 hat sich der deutsche Bundestag immer wieder mit dem Völkermord an den Armenier*innen beschäftigt. Doch erst im Juni 2016 bezeichnete das deutsche Parlament die Verbrechen an den Armenier*innen, in einem Fraktion übergreifenden Antrag von CDU/CSU, SPD und den Grünen, als Völkermord, und stellte hierbei das Wegschauen des deutschen Kaiserreichs klar heraus. Die Resolution wurde mit großer Mehrheit angenommen. Kanzlerin Angela Merkel und ranghohe Kabinettsmitglieder wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Vizekanzler Sigmar Gabriel blieben der Abstimmung jedoch fern. Medial erfuhr die Armenien Resolution viel Aufmerksamkeit. Der Fokus lag hier weniger auf inhaltlichen Einzelheiten als auf den Gesamtumständen. So hatten elf türkischstämmige Bundestagsabgeordnete vor der Abstimmung Morddrohungen erhalten, nachdem der Oberbürgermeister der türkischen Hauptstadt Ankara bei Twitter ein Bild von Ihnen geteilt hatte. Der türkische Präsident Erdogan warf ihnen vor, mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei zusammenzuarbeiten. Es kam daraufhin zu monatelangen Spannungen mit der türkischen Regierung.
Die türkische Regierung zog nach der Abstimmung ihren Botschafter aus Berlin ab. Nach Gesprächen mit der türkischen Regierung erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am 2. September 2016, dass die Bundestagsresolution nicht rechtsverbindlich sei. Er betonte aber gleichzeitig, dass diese Erklärung keine Distanzierung der Bundesregierung darstelle. Dieses „Zeichen“ reichte aus, um die türkische Regierung versöhnlich zu stimmen. Der außenpolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion bezeichnete die Vorgehensweise der Bundesregierung als „schlimm, würdelos und ein[en] Kniefall vor Erdogan“.