Das richtige Licht zur richtigen Zeit! Licht und sein Einfluss auf die Gesundheit: Forschungsstand und Planungshilfe
Das richtige Licht im Auge zur richtigen Zeit stellt sowohl eine essentielle Voraussetzung für den langfristigen Erhalt unserer Gesundheit dar – und es beeinflusst unsere Leistungsfähigkeit unmittelbar. Menschen halten sich zu einem weit überwiegenden Teil in Innenräumen auf und die adäquate Versorgung mit Tageslicht ist auf weniger als 10 % unserer Zeit reduziert. Weder die Eigenschaften von Fenstern noch die der Kunstlichtlösung sind aber in der Regel danach bemessen, welche Signale richtig für die jeweilige Tageszeit wären. In jungen Jahren können negative Effekte – zumindest kurzfristig – kompensiert werden. Langfristig zeigen sich mit dem falschen Licht jedoch einer Reihe gesundheitlich nachteiliger Phänomene oder es verlängert die Zeit bis zur Genesung bei Erkrankungen.
Schläfrigkeit bei Tag, Schlaflosigkeit bei Nacht, Agitiertheit und erhöhte Sturzhäufigkeiten, sowie verlängerte Genesungszeiten sind nur einige der Folgen von unzureichender Versorgung mit Tages- und Kunstlicht bei älteren oder pflegebedürftigen Menschen. Denn ein nach konventionellen Maßstäben optimal ausgeleuchteter Innenraum führt nicht zwangsläufig zu einem optimal versorgten Nutzer. Die Bewertungskriterien weichen in mehrerlei Hinsicht von denen einer „klassischen“ Lichtplanung ab. Aus Untersuchungen ist bekannt, dass die relevante Lichtdosis am Auge nicht „einfach nur“ von der Auswahl der Leuchte oder der Größe der verglasten Fassadenfläche abhängt.
Dabei zeigt sich, dass es die notwendigen Werkzeuge bereits heute gibt, dieses Thema in die Gestaltung unserer Alltagsumgebung einzubinden. Sofern Tageslicht nicht genutzt werden kann, bietet die LED-Technik zudem erhebliche Flexibilität in Bezug auf die wesentlichen Stellschrauben Intensität und Farbtemperatur. In Kombination mit kluger Steuertechnik werden diese Parameter abhängig der Tageszeit variiert, vergleichbar mit den etablierten Nachtmodi moderner Smartphones oder Computersysteme. Für Innenräume wird das Konzept einer auch auf die Gesundheit ausgelegten Beleuchtung als Integrative Lighting oder Human Centric Lighting (kurz HCL) bezeichnet. Innenräume sind aber weitaus individueller als die Bildschirme von elektronischen Geräten. Damit steigt auch die Komplexität bei der Berücksichtigung gesundheitlicher Aspekte.
Einblick in die Humanbiologie
Das Auge enthält neben den als Stäbchen und Zapfen bekannten Rezeptoren für den Sehsinn auch solche für den circadianen Rhythmus, d.h. die tageszeitliche Steuerung. Seit knapp zwanzig Jahren kennt man diese speziellen Ganglienzellen, sogenannte ipRGC, die die gesamte Netzhaut umspannen. Ihr lichtempfindliches Pigment heißt Melanopsin, die damit verknüpften Wirkungen passend „melanopisch“. Kühl wirkende Lichtfarben mit hohem Blauanteil reizen die ipRGC stark, warme Lichtfarben nur schwach. Das Netz an ipRGC schickt Informationen über die Umgebungshelligkeit an den Taktgeber der inneren Uhr, den SCN im Hypothalamus. Dieser wiederum beeinflusst im ganzen Körper auf Zellebene welche Gene abgeschrieben werden und welche Proteine aktiv sind.
Auf Organebene wird damit unsere Verdauung und der Stoffwechsel gesteuert, Energie den Muskeln bereitgestellt und das Immunsystem moduliert, Organe aktiviert oder in Ruhezustand versetzt, höhere Gehirnfunktionen aktiviert und die Stressreaktion beeinflusst. Systemisch können wir diese Veränderungen wahrnehmen, weil sich unsere körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, oder die Stimmung verändert.
Mit dem Helligkeitssignal der ipRGCs sorgt der Taktgeber SCN dafür, dass die inneren Abläufe zum äußeren Hell-Dunkel-Rhythmus passen. Sowohl das melanopische Signal als auch seine Abwesenheit beeinflussen den SCN. Licht wirkt demnach immer, nicht nur bei der Integration in das Design einer Beleuchtungslösung! Der ständige Aufenthalt in Innenräumen, ein Zustand, der in hohem Maße Menschen mit Gebrechen betrifft, reduziert das effektive Maß an Dynamik für das melanopische System. Das erhöht die Anfälligkeit für Störsignale, etwa beim abendlichen Lesen auf einem Tablet oder durch eine ungeeignete Beleuchtung. Mit fortschreitendem Alter wird der Wirkpfad durch die Trübung der Augenmedien, der Verkleinerung der Pupille und einer generell niedrigeren Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin weiter belastet. Daraus resultieren schlussendlich schlechterer, häufig unterbrochener Schlaf, Agitiertheit und erhöhte Sturzgefahr. Umgekehrt profitieren Menschen von Innenräumen, die im Hinblick auf den melanopischen Pfad geplant wurden.
Auch das Personal in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen kann von besser geplanten Lichtlösungen profitieren. Ignoriert man beispielsweise die Notwendigkeit einer synchronen Außenwelt über lange Zeiträume in besonderem Maße, wie es bei langjähriger Nachtschichtarbeit der Fall ist, werden eine ganze Reihe von Krankheiten mit dieser chronischen „Chronodisruption verknüpft – angefangen mit neurologischen Störungen, Stoffwechselproblemen, Herz-Kreislaufstörungen, bis hin zu Krebs. Diese Krankheiten sind oft nicht auf singuläre Auslöser zurückzuführen, sondern Resultat eines dauerhaft aus dem Takt gebrachten Systems.
Melanopische Planungsprinzipien
Das Wissen um die positiven und vermiedenen Effekte durch das richtige Licht zur richtigen Zeit stellt den Planer vor eine Herausforderung. Menschen nutzen Aufenthaltsräume nach nur generell vorhersehbaren Mustern, nicht nach spezifischen Anweisungen, wie etwa Medizingeräte. Dem Planer obliegt es daher, nicht dezidierte Wirkungen, wohl aber den „optimalen“ Lichtreiz nach den Erkenntnissen der Forschung zu planen. Diese integrative Planung bedient sich der folgenden neun Prinzipien:
Beleuchtungsstärken: Sie werden üblicherweise für wichtigsten Raumoberflächen ermittelt – die gesundheitliche Wirkung hängt jedoch maßgeblich von der Beleuchtungsstärke am Nutzerauge ab, die in den Hauptblickrichtungen bestimmt wird. Tageslichtöffnungen im Gesichtsfeld können daraufhin optimiert werden, Kunstlicht kann und soll ergänzen, idealer Weise zeitlich gesteuert.
Lichtquellenspektrum: Tageslicht zeichnet sich im Spektrum durch einen hohen Blauanteil und einer Farbtemperatur > 5.500 Kelvin aus. Dieses Licht aktiviert die ipRGC tagsüber ideal und deutlich stärker als eine warmweiße Lichtquelle bei gleicher Helligkeit. Farbtemperaturvariable LEDs erlauben ein an den Tagesgang angepasstes Spektrum.
Lichtdosis: Spektrum und Beleuchtungsstärke bestimmen die Reizstärke an den ipRGC, doch das Produkt von Dauer und Reizstärke bestimmt die Wirkung. Dies wird als Lichtdosis bezeichnet und die Bestrahlung mit hohen Lichtdosen insbesondere am Vormittag, und minimaler Lichtdosen bei Nacht stellen die Synchronisation an die Außenzeit sicher.
Zeitpunkt: Die Empfindlichkeit des Körpers ist nicht zu jedem Zeitpunkt gleich. Besonders die Übergangszeiten zwischen Tag und Nacht sind für das melanopische Signal relevant – zu diesen Zeiten kann mit der gleichen Lichtdosis die stärkste Wirkung erzeugt werden.
Lichthistorie: Die melanopische Wirkung ist abhängig von der vorangegangenen Lichtexposition. Je geringer diese bspw. unter Tag war, umso empfindlicher reagiert der Körper bei Nacht auf Licht. Umgekehrt bietet das auch Chancen. Aufenthaltsräume können durch eine hohe Lichtexposition am Tag einen positiven Einfluss für den gesamten Tagesablauf der Nutzer bewirken.
Räumliche Lichtverteilung: Tageslicht erreicht das Auge überwiegend aus dem oberen Halbraum. Untersuchungen zeigen, dass auch das melanopische System empfindlicher für das Licht aus dieser Richtung ist. Der Helligkeitsfokus liegt bei üblichen Beleuchtungslösungen häufig auf Tischen und Böden, seltener auf Wänden und Decken. Hier kann der Planer mit großen leuchtenden Flächen im oberen Gesichtsfeld den gewünschten Effekt für den Tagfall maximieren oder mit stark akzentuierter Beleuchtung den unerwünschten Reiz im Nachtfall minimieren.
Tageslichtöffnungen: Die durch Tageslicht erzielte Helligkeit wird primär von geometrischen Überlegungen bestimmt. Relevant sind aber auch die Transmissionseigenschaften der Verglasung, die über die im Innenraum verfügbaren spektralen Strahlungsstärken entscheiden. Beides wird in der Entwurfsphase nur selten rechnerisch überprüft und so Potential verschenkt.
Reflexionseigenschaften: An farbneutral ausgeführten, raumumschließenden Flächen findet keine wesentliche spektrale Veränderung des reflektierten Lichts statt. Sobald aber Farbigkeit auftritt, z. B. durch den Einsatz von Holz, Beton oder auch Wandfarben, muss die Veränderung des Lichts berücksichtigt werden. Im Normalfall werden Reflexionsgrade anhand der menschlichen Hellempfindlichkeitskurve ermittelt. Um den Einfluss von Materialien auf melanopische Wirkungen korrekt in der Planung abzubilden, kann dies mittels der melanopischen Wirkfunktion analog erfolgen.
Individuelle Faktoren: Jeder Mensch bringt als Nutzer altersabhängige individuelle und somit in der Regel nur schwer planbare Faktoren ein. Sind konkrete Nutzergruppen definiert, können deren typische Besonderheiten jedoch berücksichtigt werden. Das Lebensalter ist dabei in mehrfacher Hinsicht bei zu berücksichtigen. Die bereits angerissenen, physiologischen Veränderungen im Alter erfordern höhere Reizstärken, für eine zuverlässige Synchronisation und Aktivierung. Gleichzeitig verändert sich im Alter der Chronotyp, das heißt die Einordnung in Morgentypen oder Abendtypen, in der Tendenz zum Frühaufsteher. Davon sind die Zeiträume besonderer Sensitivität betroffen. Auch Vorerkrankungen gilt es zu berücksichtigen.
Die Prinzipien zeigen deutlich, weshalb es zu kurz gegriffen ist, das Thema Licht und Gesundheit auf die Auswahl eines Produkts aus einem Katalog zu reduzieren. Aufenthaltszeiten für Räume sind festzulegen, Tageslichtanteile müssen ermittelt und Lichtwerkzeuge für das Kunstlicht ausgewählt werden. Der Planer benötigt Wissen um die melanopisch relevanten Raumeigenschaften: die Geometrie des Raumes, der Fassadenöffnungen, sowie die melanopisch bewertete Reflexions- und Transmissionsgrade. Es müssen Vorgabe für die zeitliche Steuerung entwickelt werden. Schlussendlich ist die Inbetriebnahme der Anlage sorgfältig zu begleiten.
Worauf man sich bei der Planung stützen kann
Eine Hilfestellung bei der Planung sind erste Standards, die national und international erschienen sind. Die DGUV Information 215-220 aus 2018, sowie der Fachbericht DIN SPEC 67600 aus 2013 fassen Planungsempfehlungen biologisch wirksamer Beleuchtung für verschiedene Nutzungsarten zusammen. Die 2020 überarbeitete DIN/TS 5031:100 (Entwurf) liefert die Anleitung der melanopischen Lichtbewertung. Diese Berechnung entspricht auch den Vorgaben der internationalen Beleuchtungskommission CIE, die in 2018 den Metrologie-Standard CIE S 026 herausbrachte. Auch wichtige deutsche Gremien und Verbände sind mittlerweile von der Bedeutung des Themas überzeugt. Davon zeugen Positionspapiere etwa von der „Kommission Arbeitsschutz und Normung“ KAN, der „Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ BAuA, und des „Arbeitsstättenausschuss“ ASTA.
Projekte zu Licht und Gesundheit sind planbar, umsetzbar und nach Erkenntnissen im Feld auch erfolgreich. Es handelt sich um individuelle Lösungen, die als Teil einer integrativen Planung entstehen und dabei weitere Vorteile guter Lichtplanung demonstrieren – der visuellen und emotionalen Qualität. Werden die in diesem Beitrag benannten Punkte konsequent berücksichtigt, kann der Beleuchtung ein echter revolutionärer Sprung gelingen. Es gilt, das vorhandene Wissen schon heute verantwortungsvoll in unseren Lebensräumen anzuwenden, wenn Fakten für den nächsten Gebäudelebenszyklus geschaffen werden. Nicht (nur) um Energie zu sparen, sondern gute Innenräume für Menschen zu gestalten.