"GOTT" ist nicht verhandelbar - Eine kritische-historisch-theologische Betrachtung ...
Quelle: Jesus - Revoluzzer, Stefan Weinert, Eigenverlag
Von Stefan Weinert (c)
Gibt es nun eigentlich einen Gott, gibt es den einen (1) Gott, den die drei so genannten abrahamitischen Religionen Judentum, Christum, Islam als ihren Gott beanspruchen? Der EINE, der hört, wenn wir beten, der eingreift, wenn wir bitten, der heilt und Wunder geschehen lässt, der die Weltgeschicke lenkt, Kaiser und Könige einsetzt und wieder abberuft? Haben die Kirchen, die Synagogen, die Moscheen eben recht, wenn sie behaupten, es gäbe einen Gott, ja es gibt nur den einen Gott? Oder ist es so, wie jener junge Frontsoldat, der womöglich das Ostern 1942 nicht mehr erleben durfte, Weihnachten 1941 an seinen Vater, der Pastor war, schrieb? "Vater, es gibt in Stalingrad keinen Gott!" - Was glaubte Jesus von Nazareth, der ein Jude war und blieb. Christ wollte er nie sein?
Seit Ende des 19. Jahrhunderts existiert die These, dass Jahwe (Jehova) in der Antike ein von den Midianitern und Kenitern verehrter Berggott auf der Sinai-Halbinsel war. Laut den biblischen Berichten begegnete dieser Jahwe dem Mose im brennenden Dornbusch in Midian am Berg Horeb. Und Jethro (Jitro), der Schwiegervater des Moses war ein Priester von Midian, also ein „heidnischer“ Priester. Nach dieser These schloss sich Israel dem Glauben an diesen Gott an. Allerdings liegt der Ursprung des Monotheismus (der Glaube an nur den einen Gott) nicht bei dem Volk Israel, auch nicht beim Christentum und auch nicht bei dem Islam, sondern er liegt historisch viel weiter zurück.
Sigmund Freud (*1856 in Wien, + 1939 in London) selbst war österreichischer Jude und musste deshalb nach dem "Anschluss" seines Landes an Deutschland nach England emigrieren. Freud war nicht unbedingt fromm, aber er kannte sich mit seiner jüdischen Religion, mit Religionen im Allgemeinen und mit der Menschheitsgeschichte sehr gut aus. Er schrieb übrigens auch das Buch "Der Mann Moses und die monotheistische Religion", welches ich selbst ich mit großer Begeisterung gelesen habe. In diesem Buch belegt er, dass der Monotheismus nicht eine Erfindung des alten Volkes Israel und damit auch der Juden und in der Folge auch der Christenheit und des Islam ist, sondern dass der "Glaube an einen (1) Gott" aus dem alten Ägypten stammt und Moses selbst ein Ägypter war (Moses = auf Ägyptisch: Sohn), der den Monotheismus weiter tradiert hat. (Unbedingt lesen).
Interessant bei der Frage nach "dem einen Gott", und zu beachten ist, dass auf den ersten Seiten des Tanach (hebräische Bibel), also in Genesis Kapitel 1 - „Elohim“ als Bezeichnung für „Gott“ steht. Elohim (dieselbe Wurzel wie das arabische "Allah") ist schlichtweg das Wort für „Gott“ - und zwar in diesem Fall der Plural = eigentlich „Götter“ - ohne dabei einen bestimmten Gott mit Namensgebung zu meinen. „Am Anfang schuf(en) (die) Elohim die Himmel (ebenso Plural) und die Erde,“ heißt es in Genesis 1,1 und auch in der weiteren Erzählung wird der Begriff „Elohim“ benutzt.
Dann in Kapitel 2, 4 heißt es aber auf einmal: „An dem Tag, als Gott der Herr (Jahwe Elohim) Erde und Himmel geschaffen hat“. Zu Recht wird daher davon ausgegangen, dass es sich hier um zwei verschiedene Schöpfungsberichte handelt. Einmal ist es Gott im Allgemeinen und den nicht Fassbaren (früher Schöpfungsbericht) und zum anderen ist es Gott, der einen Namen bekommen hat (späterer Schöpfungsbericht).
Wie dem auch sei, ist doch eines klar. Zu jener Zeit der Gottesoffenbarung am und im brennenden Dornbusch (um 1200 v. J.) „wimmelte“ es nur so von Göttern und Götternamen. Jeder Stamm, jedes Volk hatte seinen Gott und darüber hinaus gab es noch Götter, die zuständig waren für ganz bestimmte Lebensbereiche. Auch in der griechischen Kultur findet sich dieser Götterkult wieder, wo es neben dem Hauptgott Zeus, dem Vater und König (bei den Römern = Jupiter), noch solche für den Tod (Hades), des Meeres (Poseidon), Fruchtbarkeit (Demeter), Liebe (Aphrodite) und so fort, gab. Dieser Götterkult wird bei den Römern (nur eben mit anderen Namen) fortgeführt. Also „wimmelte“ es auch zurzeit Jesu im Vorderen Orient von unendlich vielen Göttern, zumal Palästina (Land der Philister) und vor allem die Stadt Jerusalem Schmelztiegel aller möglichen Völker, neben den Römern und Griechen (und damit ihrer Götter) war, was sehr schön nachzulesen ist in der Apostelgeschichte 2, 9ff und sich bis heute so gehalten hat.
Nun ist es bemerkenswert, dass Jesus in dieser religiösen Gemengelage nicht ein einziges Mal den Gottesnamen „Jahwe“ benutzt. Es war in dieser Zeit auch unüblich und gar untersagt, den Namen des einzigen Gottes auszusprechen. Davon berichtet Josephus in seinem Werk „Jüdische Altertümer“, welches im 1. nachchristlichen Jahrhundert entstand: „Da verkündete ihm [dem Mose] Gott seinen Namen, der früher noch keinem Menschen war kundgetan worden. Diesen Namen darf ich nicht aussprechen,“ heißt es dort bei Josephus. Es ist davon auszugehen, dass Jesus diesen Namen Jahwe ausgesprochen hätte, wäre es denn für seine Botschaft und für seine Mission wichtig gewesen. Schließlich unterstellte man/n ihm schon die Gotteslästerung. Warum nicht auch noch Lästerung des Namens Gottes?
Nun könnte gesagt werden, dass ja die vier uns überlieferten Evangelien nicht in der hebräischen oder aramäischen Sprache, sondern in der griechischen Sprache verfasst wurden und der Gottesname „Jahwe“ dann eher mit „Kyrios“ = „Herr“ wiedergegeben worden wäre. Dann aber müsste in den Texten von Matthäus und Co. auch die logische Reaktion der Pharisäer und Schriftgelehrten folgen: Er hat Gottes Namen gelästert. Eine solche Schriftstelle aber gibt es nicht.
Jesus hatte einen anderen Grund, Gott nicht mit dem Namen Jahwe zu benennen. Er nannte Gott den „Vater“, den „Vater im Himmel“. Das gesamte Neue Testament (NT) benutzt den Namen „Vater“ für Gott 261 Mal. Im Alten Testament (AT), dem Tanach, dagegen wird Gott nur knapp 20-mal als Vater bezeichnet. Jesus bezeichnet Gott nicht nur als Vater, sondern als „unseren Vater“, womit er seine Zuhörer, in diesem Falle seine Jünger (engl. = disciples, siehe Disziplin) darauf „einschwört“, dass es also nur einen gemeinsamen Gott geben kann. Gott, so Jesus zu Petrus und den anderen, gibt es nur im gemeinsam und nicht einzeln-egoistisch. Gott ist unteilbar. Gott ist nicht verhandelbar. Gerade in der aktuellen Zeit (2023) soll dies ein wichtiger Hinweis sein!
Nun wusste aber auch schon Jesus, dass jedes Individuum aufgrund seiner frühen Kindheit und persönlichen Lebensgeschichte (siehe oben) seine eigene Vorstellung, sein eigenes Bild von Gott hat (sofern es denn überhaupt an die Existenz eines Gottes glaubt). Gerade deshalb: Egal, wie ihr Gott persönlich seht, er ist euer gemeinsamer Gott, mit allen Facetten und es kann nicht angehen, dass ihr euch gegenseitig die Köpfe einschlagt, nur weil ihr meint, ihr hättet Gott begriffen und der andere sei auf einem Irrweg. Nicht den Kopf sollt ihr euch gegenseitig waschen, sondern die Füße (= Arbeit eines Sklaven). Und darauf läuft es hinaus: Elohim ist nicht nur Jahwe, der exklusive Gott der Juden und der Proselyten, Elohim ist der Vater aller Menschen. Deswegen heißt es auch: Gehet hin und verkündet allen Völkern … Übrigens heißt es nicht: Gehet hin und macht euch die Völker untertan.
Darüber hinaus bestätigt Jesus und nimmt vorweg, was S. Freud, C.G. Jung und andere Psychoanalytiker des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erkannt haben: Gott ist nicht nur ein Vater, also maskulin, sondern er hat auch (vor allem) mütterliche, also feminine Züge. Und die sind nicht ohne. Und auch Jesus nimmt diese weiblichen Eigenschaften für sich in Anspruch. Kurz vor seinem Tod spricht er diese Worte aus: „Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!“ (Matthäus 23, 27).
Nun ist und war es immer so, dass es Aufgabe der Mutter war, der Familie, insbesondere den Kindern, die emotionale Wärme und das Gefühl von seelischer Geborgenheit zu geben, so wie es eben der Hahn mit seinem drohenden roten Kamm ist, der mit Schnabelhieben seine Henne(n) und Küken vor äußeren Feinden schützt, während die Henne für das innere Wohl zuständig ist. Im Tanach gibt es einige Belege dafür, dass der Mensch unter den Flügeln Gottes Schutz vor Gefahr und bösen Menschen findet und er geheilt wird und aufblüht. Gott ist also sowohl Vater, als auch Mutter, ist sowohl Mann, als auch Frau (wenn man/frau überhaupt von Gott mit menschlichen Begriffen reden kann), ist zuständig für den äußeren als auch inneren Schutz, für die Physis und die Psyche.
Unweigerlich kommen wir noch einmal auf die Früheste und Frühphase des menschlichen Daseins zu sprechen. Die Mutter ist nicht nur ein Abbild von Gott, sondern sie ist für das werdende und heranwachsende Leben = Gott. Aber die Dyade in der pränatalen Phase mit ihr, die Symbiose in der extrauterinen des Kindes mit der Mutter, wird irgendwann aufgelöst werden müssen. So auch bei der Henne und ihren Küken. Sie können nicht „ewig“ unter den Fittichen der Mutter bleiben. Oder doch? Wenn Jesus von Nazareth die geistliche Elite in Jerusalem auffordert, dem Ruf Gottes unter seine Fittiche nachzukommen, dann ist es genau das, was er in seiner früheren Bergpredigt sagte: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kleinstkinder (paidion) …" -
Hier schließt sich der Kreis. „Ich liebe nicht die Alten, sagt Gott, es sei denn, sie wären noch wie Kinder. In meinem Reich will ich nur Kinder, das ist beschlossen. Das ist ewig. Verschrumpfte Kinder, bucklige Kinder, verrunzelte Kinder, weißbärtige Kinder, aller Arten von Kindern, Kinder, nichts als Kinder. In meinem Himmel wird es höchstens Augen von Fünfjährigen geben; denn ich kenne nichts Schöneres als einen reinen Kinderblick.“ (Michel Quoist). – „Glückselig [gr. makarios], die Reinen [katharsis] im Herzen, denn sie werden Gott sehen.“ (Jesus in der Bergpredigt)
Und auf diesem Hintergrund noch einmal die Frage: Was nur haben wir aus Gott? Was haben die Kirchen aus der Botschaft des Mannes aus Nazareth, der uns Gott als den VATER vorgestellt hat, werden lassen? Ja, Luthers Reformation war dringend notwendig. Aber sie ging nicht weit genug. Sein „sola scriptura“ richtete sich einzig gegen die kirchlichen Traditionen und Überlieferungen, wie zum Beispiel den Ablass und den Ablasshandel. Nicht aber machte Luther seinen Zeitgenossen deutlich, dass es nur ein einziges Hinweisschild in Richtung „ewigen Lebens“, in Richtung „Gott“ und „Himmel“ gibt: Werdet wie die Kinder und vertraut ALLE Gott dem Vater ALLER!