🟡 Die Rede des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, am 23.9.202 vor der UNO in New York - In voller Länge und unverzerrten Übersetzung
Als Vertreter eines Landes, das entscheidend zur Niederlage des Faschismus und des japanischen Militarismus beigetragen hat, möchte ich die Aufmerksamkeit auf ein so ungeheuerliches Phänomen wie die Rehabilitierung von Nazis und Kollaborateuren in einer Reihe von europäischen Ländern, vor allem in der Ukraine und den baltischen Staaten, lenken. Besonders besorgniserregend ist, dass Deutschland, Italien und Japan im vergangenen Jahr zum ersten Mal gegen die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Unzulässigkeit der Verherrlichung des Nazismus gestimmt haben. Diese bedauerliche Tatsache stellt die Aufrichtigkeit der Reue dieser Staaten für die massiven Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Zweiten Weltkriegs in Frage und widerspricht den Bedingungen, unter denen sie als Vollmitglieder in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Sergej Lawrow vor der UNO
Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/460010.un-vollversammlung-neue-weltordnung-wird-geboren.html
In den Reden vieler meiner Vorredner wurde bereits der Gedanke geäußert, dass unser gemeinsamer Planet unumkehrbaren Veränderungen unterworfen ist. Vor unseren Augen wird eine neue Weltordnung geboren. Die Konturen der Zukunft entstehen im Kampf. Zwischen der Weltmehrheit, die für eine gerechtere Verteilung des globalen Reichtums und zivilisatorische Vielfalt eintritt, und den wenigen, die neokolonialen Methoden der Unterwerfung einsetzen, um die ihnen entgleitende Vorherrschaft aufrechtzuerhalten.
Die »Visitenkarte« des »kollektiven Westens« sind seit langem die Verweigerung des Grundsatzes der Gleichberechtigung und totale Vertragsuntreue. Gewohnt, auf die übrige Welt von oben herab zu schauen, geben Amerikaner und Europäer ständig Versprechen ab, auch schriftliche und juristisch verpflichtende. Danach erfüllen sie sie einfach nicht. Wie Präsident Wladimir Putin feststellte, ist der Westen ein wahres »Imperium der Lüge«.
Russland weiß das, wie viele andere Länder auch, aus erster Hand. Im Jahr 1945, als Washington, London und wir gemeinsam dem Feind an den Fronten des Zweiten Weltkriegs den letzten Stoß versetzten, bereiteten unsere Verbündeten in der Anti-Hitler-Koalition bereits Pläne für die Militäroperation »Unthinkable« gegen die Sowjetunion vor. Und nach vier Jahren, 1949, arbeiteten die Amerikaner die Operation »Dropshot« aus, um massive Atomschläge gegen die UdSSR zu führen.
Diese wahnsinnigen Pläne blieben auf dem Papier. Die UdSSR schuf ihre Vergeltungswaffen. Es bedurfte jedoch der Karibischen Krise von 1962 und des Balancierens am Rande des Atomkriegs, damit die Idee seiner Entfesselung und die Illusion eines Sieges aufhörte, Grundlage der militärischen Planung der USA zu sein.
Am Ende des »Kalten Krieges« spielte die Sowjetunion eine entscheidende Rolle bei der Vereinigung Deutschlands und der Vereinbarung der Parameter einer neuen Architektur der Sicherheit in Europa. Dabei wurden der sowjetischen und dann der russischen Führung konkrete politische Zusicherungen gegeben, dass der NATO-Militärblock nicht nach Osten ausgedehnt werde. Die entsprechenden Verhandlungsprotokolle sind in unseren und westlichen Archiven verfügbar. Sie sind frei zugänglich.
Aber diese Zusicherungen der westlichen Führer erwiesen sich als Betrug, sie hatten nicht die Absicht, sie zu erfüllen. Dabei hat es sie nie gestört, dass sie mit der Annäherung der NATO an die Grenzen Russlands auch die auf höchster Ebene eingegangenen offiziellen Verpflichtungen im Rahmen der OSZE, die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer zu stärken und nicht zuzulassen, dass ein Land, eine Gruppe von Ländern oder Organisationen in Europa militärisch und politisch dominieren, eklatant verletzten.
Im Jahr 2021 wurden unsere Vorschläge zum Abschluss von Verträgen über gegenseitige Sicherheitsgarantien in Europa ohne Veränderung des blockfreien Status der Ukraine arrogant abgelehnt. Der Westen setzte planmäßig die Militarisierung des russophoben Kiewer Regimes fort, das durch einen blutigen Staatsstreich an die Macht gebracht und zur Vorbereitung eines hybriden Krieges gegen unser Land benutzt wurde.
Beispiellos seit dem Ende des »Kalten Krieges« sind die Serien jüngster gemeinsamer Manöver der USA und ihrer europäischen NATO-Verbündeten. Sie waren mit der Überarbeitung der Szenarien für den Einsatz von Atomwaffen auf dem Gebiet der Russischen Föderation verbunden. Die erklärte Aufgabe ist es, Russland eine »strategische Niederlage« beizubringen. Diese Besessenheit hat die Augen verantwortungsloser Politiker völlig geblendet. Sie verspüren das Gefühl eigener Straflosigkeit, verlieren aber gleichzeitig den elementaren Sinn für Selbsterhaltung.
Die von Washington geführten NATO-Staaten verstärken und modernisieren nicht nur ihre Angriffsfähigkeiten, sondern versuchen auch, die bewaffnete Konfrontation in den Weltraum und den Cyberspace zu verlagern.
Eine neue gefährliche Erscheinungsform des NATO-Expansionismus ist der Versuch, den Zuständigkeitsbereich des Blocks auf die gesamte östliche Hemisphäre auszudehnen, und zwar unter der verlogenen Parole der »Unteilbarkeit der Sicherheit der transatlantischen und der indo-pazifischen Region«. Zu diesem Zweck schafft Washington von ihm kontrollierte militärpolitische Minibündnisse wie AUKUS, die »Troika« USA-Japan-Südkorea, das »Quartett« Tokio-Seoul-Canberra-Wellington. Ihre Mitglieder werden zur praktischen Zusammenarbeit mit der NATO gedrängt, die ihre Infrastruktur im pazifischen Raum aufbaut. Die unverhohlene Ausrichtung dieser Bemühungen gegen Russland und China, der Zusammenbruch der integrativen regionalen Architektur, die sich um die ASEAN gebildet hatte, schafft Risiken, dass eine neue explosive Quelle geopolitischer Spannung entsteht, die zu der bereits überhitzten europäischen hinzukommt.
Es entsteht der starke Eindruck, dass die USA und das ihnen vollständig untergeordnete »westliche Kollektiv« beschlossen haben, der »Monroe-Doktrin« eine globale Ausweitung zu geben. Die Pläne sind ebenso illusorisch wie äußerst gefährlich, aber das hält die Ideologen der Neuauflage der »Pax Americana« nicht auf.
Die Weltminderheit versucht mit allen Kräften, den natürlichen Lauf der Dinge zu verlangsamen. In der Erklärung der nordatlantischen Allianz von Vilnius wird die »sich festigende Partnerschaft zwischen Russland und China« als »Bedrohung für die NATO« bezeichnet. In einer Rede vor seinen Botschaftern brachte Präsident Macron kürzlich seine große Besorgnis über die Erweiterung der BRICS zum Ausdruck und betrachtete dieses Ereignis als Beweis für »die Verkomplizierung der Umstände in der internationalen Arena, die das Risiko einer Schwächung des Westens und insbesondere Europas birgt. (…) Es vollzieht sich eine Revision der Grundsätze und verschiedenen Organisationsformen der Weltordnung, in der der Westen dominant war und ist«. Das sind doch Offenbarungen: Wenn sich irgendjemand ohne uns irgendwo versammelt, ohne uns oder ohne unsere Erlaubnis Freundschaften schließt, wird das als Bedrohung unserer Vorherrschaft angesehen. Das Vordringen der NATO in den asiatisch-pazifischen Raum ist eine »gute Sache«, während die Expansion der BRICS gefährlich ist.
Die Logik des historischen Prozesses ist jedoch unerbittlich. Der grundlegende Trend ist das Bestreben der Staaten der Weltmehrheit, ihre Souveränität zu stärken und ihre nationalen Interessen, Traditionen, Kulturen und ihre Lebensweise zu verteidigen. Sie wollen nicht mehr unter dem Diktat von irgendwem leben, sie wollen sich anfreunden und untereinander, aber auch mit der ganzen Welt, Handel treiben – aber nur auf gleicher Augenhöhe und zum gegenseitigen Vorteil. Auf dem Vormarsch sind Vereinigungen wie die BRICS und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Sie bieten den Ländern des globalen Südens Möglichkeiten gemeinsamer Entwicklung und Verteidigung eines würdigen Platzes in der objektiv entstehenden multipolaren Architektur.
Vielleicht besteht zum ersten Mal seit 1945, als die Organisation der Vereinten Nationen gegründet wurden, die Chance auf eine echte Demokratisierung des Weltgeschehens. Das stimmt alle optimistisch, die an die Oberhoheit des Völkerrechts glauben und die UNO als zentrales Koordinationsorgan der Weltpolitik wiederbelebt sehen wollen. Als Ort, an dem man sich bei Verhandlungen darüber einigt, wie man Probleme gemeinsam auf der Grundlage eines gerechten Interessenausgleichs lösen kann.
Für Russland ist offensichtlich, dass es keinen anderen Weg gibt. Die USA und das ihnen untergeordnete »westliche Kollektiv« schüren jedoch weiterhin Konflikte, die die Menschheit künstlich in feindliche Blöcke aufteilen und das Erreichen gemeinsamer Ziele behindern. Sie tun alles, um die Bildung einer wirklich multipolaren, gerechten Weltordnung zu verhindern. Sie versuchen, die Welt zu zwingen, nach ihren berüchtigten und engstirnigen »Regeln« zu spielen, die nur ihrem eigenen Vorteil dienen.
Ich möchte die westlichen Politiker und Diplomaten auffordern, die UN-Charta noch einmal sorgfältig zu lesen. Der Eckpfeiler der im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs geschaffenen Weltordnung ist das demokratische Prinzip der souveränen Gleichheit großer und kleiner Staaten, unabhängig von ihrer Regierungsform, ihrer inneren politischen oder sozioökonomischen Struktur.
Der Westen hält sich immer noch für dem Rest der Menschheit überlegen – ganz im Sinne der bereits berüchtigten Aussage des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell, dass »Europa ein blühender Garten und alles um ihn herum ein Dschungel ist«. Es ist ihm nicht peinlich, dass in diesem Garten die Islamophobie und andere Formen der Intoleranz gegenüber den traditionellen Werten aller Weltreligionen grassieren. Koranverbrennungen, Beleidigungen der Thora, Verfolgung orthodoxer Geistlicher und andere Verhöhnungen der Gefühle von Gläubigen sind in Europa buchstäblich an der Tagesordnung.
Ein grober Verstoß gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten ist die Anwendung einseitiger Zwangsmaßnahmen durch den Westen. Die Länder, die Opfer rechtswidriger Sanktionen geworden sind – und es werden immer mehr –, wissen sehr wohl, dass die Beschränkungen in erster Linie die schwächsten Teile der Bevölkerung treffen. Sie rufen Krisen auf den Lebensmittel- und Energiemärkten hervor.
Wir bestehen weiterhin auf einer sofortigen und vollständigen Beendigung der in ihrer Unmenschlichkeit beispiellosen Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade der USA gegen Havanna und auf der Aufhebung der absurden Entscheidung, Kuba zu einem Land zu erklären, das den Terrorismus unterstützt. Washington muss ohne jede Vorbedingung seine Politik der wirtschaftlichen Strangulierung Venezuelas aufgeben. Wir fordern die Aufhebung der einseitigen Sanktionen der USA und der EU gegen die Syrische Arabische Republik (SAR), die offen das Recht auf Entwicklung untergraben. Jegliche unter Umgehung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ergriffenen Maßnahmen müssen ebenso ein Ende haben wie die vom Westen geübte Praxis, die Sanktionspolitik des Rates zu manipulieren, um Druck auf unerwünschte Personen auszuüben.
Ein offener Ausdruck des Egoismus der westlichen Minderheit sind die obsessiven Versuche, die Tagesordnung aller internationalen Diskussionen zu »ukrainisieren«. Dadurch treten eine ganze Reihe ungelöster regionaler Krisen in den Hintergrund, von denen viele Jahre und sogar Jahrzehnte andauern.
Eine vollständige Normalisierung im Nahen Osten kann ohne eine Lösung der Hauptfrage nicht erreicht werden – der Regelung des langwierigen palästinensisch-israelischen Konflikts auf der Grundlage der UN-Resolutionen und der arabischen Friedensinitiative, die seinerzeit von Saudi-Arabien vorgelegt wurde. Die Palästinenser warten seit mehr als 70 Jahren auf den ihnen feierlich versprochenen Staat, aber die Amerikaner, die den Vermittlungsprozess monopolisiert haben, tun alles, damit er nicht zustande kommt. Wir rufen alle verantwortungsbewussten Länder dazu auf, sich an den Bemühungen zu beteiligen, Bedingungen für die Wiederaufnahme direkter palästinensisch-israelischer Verhandlungen zu schaffen.
Es ist ermutigend, dass die Arabische Liga einen zweiten Aufschwung erfährt und ihre Rolle in den Angelegenheiten der Region aktiv wahrnimmt. Wir begrüßen die Rückkehr der SAR in die arabische Familie und den beginnenden Normalisierungsprozess zwischen Damaskus und Ankara, den wir gemeinsam mit unseren iranischen Kollegen zu unterstützen versuchen. Diese positiven Entwicklungen werden durch die Bemühungen des »Astana-Formats« gestärkt, eine Regelung für Syrien auf der Grundlage der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats zu fördern und die Souveränität der SAR wiederherzustellen.
Wir hoffen, dass die Libyer mit Hilfe der Vereinten Nationen allgemeine Wahlen vorbereiten können – in ihrem leidgeprüften Land, das sich seit mehr als zehn Jahren nicht von den Folgen der NATO-Aggression erholen konnte, die den libyschen Staat zerstörte und die Schleusen für die Ausbreitung des Terrorismus in der Sahara-Sahel-Region und für Wellen von Millionen nichtlegaler Migranten nach Europa und in andere Teile der Welt öffnete. Analytiker weisen darauf hin: Als Muammar Al-Ghaddafi sein militärisches Atomprogramm aufgab, wurde er sofort eliminiert. Eben damit hat der Westen die gefährlichsten Risiken für das gesamte System der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen geschaffen.
Beunruhigend ist das Schüren militärischer Hysterie durch Washington und seine asiatischen Verbündeten auf der koreanischen Halbinsel, wo sich das strategische Potential der USA akkumuliert. Russisch-chinesische Initiativen, humanitären und politischen Aufgaben Vorrang einzuräumen, werden abgelehnt.
Die tragische Entwicklung der Lage im Sudan ist nichts anderes als eine weitere Folge der gescheiterten Experimente des Westens mit dem Export liberal-demokratischer Dogmen. Wir unterstützen konstruktive Initiativen, die auf eine baldige Beilegung des innersudanesischen Konflikts abzielen, in erster Linie durch die Ermöglichung eines direkten Dialogs zwischen den kriegführenden Parteien.
Beim Blick auf die nervöse Haltung des Westens angesichts der jüngsten Ereignisse in Afrika, insbesondere in Niger und Gabun, muss man sich zwangsläufig daran erinnern, wie Washington und Brüssel auf den blutigen Staatsstreich in der Ukraine im Februar 2014 reagiert haben – innerhalb eines Tages nach Erreichen des von der EU garantierten Abkommens über eine Regelung trat es die Opposition mit Füßen. Die USA und ihre Verbündeten unterstützten den Putsch und begrüßten ihn als »Manifestation der Demokratie«.
Die anhaltende Verschlechterung der Lage in der serbischen Provinz Kosovo kann nur Besorgnis erregen. Die Lieferung von Waffen an die Kosovaren und die Unterstützung der NATO beim Aufbau einer Armee verstoßen in eklatanter Weise gegen die grundlegende Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Die ganze Welt sieht, wie sich die traurige Geschichte des Minsker Abkommens zur Ukraine auf dem Balkan wiederholt. Das Abkommen sah einen Sonderstatus für die Donbass-Republiken vor. Kiew hat es mit Unterstützung des Westens offen sabotiert.
Und auch jetzt will die EU ihre Schützlinge im Kosovo nicht zwingen, die 2013 zwischen Belgrad und Pristina getroffenen Vereinbarungen über die Gründung der Gemeinschaft der serbischen Gemeinden im Kosovo mit Sonderrechten für deren Sprache und Traditionen umzusetzen. In beiden Fällen fungierte die EU als Garant für die Vereinbarungen, und es scheint, dass sie das gleiche Schicksal haben. Wie der »Sponsor«, so auch das Ergebnis.
Jetzt drängt Brüssel Aserbaidschan und Armenien seine »Vermittlungsdienste« auf und sorgt gemeinsam mit Washington für die Destabilisierung des Südkaukasus. Nachdem Jerewan und Baku jetzt die Frage der gegenseitigen Anerkennung der Souveränität beider Länder geklärt haben, ist es nun an der Zeit für ein friedliches Leben, für seine Etablierung und für Vertrauensbildung. Das russische Friedenskontingent wird dazu in jeder erdenklichen Weise beitragen.
Was die Beschlüsse der internationalen Gemeinschaft betrifft, die bisher nur auf dem Papier stehen, so fordern wir die Vollendung des Prozesses der Dekolonialisierung in Übereinstimmung mit den Resolutionen der Generalversammlung und die Beendigung kolonialer und neokolonialer Praktiken.
Eine lebendige Illustration für die »Regeln«, nach denen der Westen die ganze Welt leben lassen will, ist das Schicksal der 2009 eingegangenen Verpflichtungen, den Entwicklungsländern jährlich 100 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung von Programmen zur Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung zu stellen. Vergleichen Sie das Schicksal dieser unerfüllten Versprechen mit den Summen, die die USA, die NATO und die EU zur Unterstützung des rassistischen Regimes in Kiew ausgegeben haben: schätzungsweise bis zu 170 Milliarden Dollar in den letzten anderthalb Jahren. Vergleichen Sie, und Sie werden das Selbstverständnis der »aufgeklärten westlichen Demokratien« mit ihren berüchtigten »Werten« begreifen.
Insgesamt besteht dringender Bedarf, die bestehende Architektur der Global Governance so schnell wie möglich zu reformieren. Sie wird den Anforderungen unserer Zeit schon lange nicht mehr gerecht. Die USA und ihre Verbündeten müssen die künstlichen Einschränkungen bei der Umverteilung der Stimmanteile im Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank aufgeben und das tatsächliche wirtschaftliche und finanzielle Gewicht der Länder des globalen Südens anerkennen. Auch die Blockade der Arbeit des Schiedsgerichts der Welthandelsorganisation (WTO) sollte unverzüglich aufgehoben werden.
Als immer notwendiger erweist sich die Erweiterung des Sicherheitsrates – allein schon um der Unterrepräsentation der weltweiten Mehrheit der Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas entgegenzuwirken. Es ist wichtig, dass die neuen Mitglieder des Sicherheitsrates, sowohl die ständigen als auch die nichtständigen, in ihren Regionen und in globalen Organisationen wie der Bewegung der Blockfreien, der »Gruppe der 77« und der »Organisation für Islamische Zusammenarbeit« glaubwürdig sind.
Es ist an der Zeit, über gerechtere Methoden für die Besetzung des UN-Sekretariats nachzudenken. Die seit vielen Jahren geltenden Kriterien spiegeln nicht das tatsächliche Gewicht der Staaten im Weltgeschehen wider und sichern künstlich die unzulässige Dominanz von Staatsbürgern aus NATO- und EU-Ländern. Dieses Missverhältnis wird durch das System der unbefristeten Verträge, die ihre Inhaber an die Position der Sitzländer der internationalen Organisationen binden, von denen die meisten in Hauptstädten angesiedelt sind, die eine westliche Politik verfolgen, noch verschärft.
Die Reform der Vereinten Nationen sollte durch eine neue Art von Vereinigungen unterstützt werden, in denen es keine Anführer, keine Lehrer und Schüler gibt und alle Fragen auf der Grundlage von Konsens und Interessenausgleich gelöst werden. In erster Linie handelt es sich dabei um die BRICS, die nach den Ergebnissen des Gipfels von Johannesburg erheblich an Autorität und wirklich globalem Einfluss gewonnen haben.
Auf regionaler Ebene erleben Organisationen wie die Afrikanische Union, die CELAC, die Arabische Liga, der Golf-Kooperationsrat und andere Strukturen eine Renaissance. In Eurasien gewinnt die Harmonisierung der Integrationsprozesse innerhalb der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, der ASEAN, der OVKS, der Eurasischen Wirtschaftsunion, der GUS und des chinesischen Projekts »Neue Seidenstraße« an Schwung. Auf natürliche Weise bildet sich die Große Eurasische Partnerschaft, an der sich ausnahmslos alle Verbände und Länder unseres gemeinsamen Kontinents beteiligen können.
Leider widersprechen diesen positiven Tendenzen die zunehmend aggressiven Versuche des Westens, seine Herrschaft in der Weltpolitik, der Wirtschaft und dem Finanzwesen aufrechtzuerhalten. Es liegt im gemeinsamen Interesse, eine Fragmentierung der Welt in isolierte Handelsblöcke und Makroregionen zu vermeiden. Aber wenn die USA und ihre Verbündeten nicht bereit sind, sich auf eine gerechte und gleichberechtigte Gestaltung der Globalisierungsprozesse zu einigen, muss der Rest der Welt Konsequenzen ziehen und über Maßnahmen nachdenken, die helfen, die Aussichten der sozioökonomischen und technologischen Entwicklung nicht von den neokolonialen Instinkten der ehemaligen Metropolen abhängig zu machen.
Das Grundproblem liegt im Westen, denn die Entwicklungsländer sind bereit zu verhandeln, auch auf der Plattform der G20, wie der jüngste Gipfel in Indien gezeigt hat. Die wichtigste Schlussfolgerung des Gipfels ist, dass die G20 von der Politisierung befreit werden können und sollten, damit sie das tun können, wofür sie geschaffen wurden: allgemein akzeptable Maßnahmen zur Steuerung der Weltwirtschaft und der Finanzen zu entwickeln. Es gibt Möglichkeiten für einen Dialog und für Vereinbarungen. Es ist wichtig, diesen Moment nicht zu verpassen.
Das UN-Sekretariat, dessen satzungsgemäßer Auftrag es ist, der Suche nach einer Einigung aller Mitgliedstaaten unter dem Dach der UN zu dienen, und nicht irgendwo anders, sollte all diese Trends in seiner Arbeit voll berücksichtigen.
Rehabilitierung von NazisDie UNO wurde auf der Grundlage der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs gegründet und jeder Versuch, diese Ergebnisse zu revidieren, untergräbt die Grundlagen der Weltorganisation. Als Vertreter eines Landes, das entscheidend zur Niederlage des Faschismus und des japanischen Militarismus beigetragen hat, möchte ich die Aufmerksamkeit auf ein so ungeheuerliches Phänomen wie die Rehabilitierung von Nazis und Kollaborateuren in einer Reihe von europäischen Ländern, vor allem in der Ukraine und den baltischen Staaten, lenken. Besonders besorgniserregend ist, dass Deutschland, Italien und Japan im vergangenen Jahr zum ersten Mal gegen die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Unzulässigkeit der Verherrlichung des Nazismus gestimmt haben. Diese bedauerliche Tatsache stellt die Aufrichtigkeit der Reue dieser Staaten für die massiven Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Zweiten Weltkriegs in Frage und widerspricht den Bedingungen, unter denen sie als Vollmitglieder in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Wir fordern dazu auf, diesen »Metamorphosen«, die der Position der Weltmehrheit und den Prinzipien der UN-Charta zuwiderlaufen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Heute steht die Menschheit wie schon oft in der Vergangenheit erneut an einer Weggabelung. Es liegt allein an uns, zu bestimmen, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, das Abrutschen in einen großen Krieg und den endgültigen Zusammenbruch der von den vorherigen Generationen geschaffenen Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit zu verhindern. Der Generalsekretär hat die Initiative ergriffen, im nächsten Jahr einen »Zukunftsgipfel« abzuhalten. Der Erfolg dieses Vorhabens kann nur durch die Schaffung eines ehrlichen und gerechten Interessenausgleichs zwischen allen Mitgliedsländern unter Wahrung des zwischenstaatlichen Charakters unserer Organisation gewährleistet werden. Bei ihrem Treffen am 21. September dieses Jahres kamen die Mitglieder der »Gruppe der Freunde zur Verteidigung der UN-Charta« überein, aktiv zur Erreichung dieses Ziels beizutragen.
Wie Antonio Guterres auf einer Pressekonferenz vor dieser Sitzung sagte, »wenn wir Frieden und Wohlstand auf der Grundlage von Gleichheit und Solidarität wollen, haben die Staats- und Regierungschefs eine besondere Verantwortung, Kompromisse bei der Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft zum Wohle aller einzugehen«. Das ist eine gute Antwort auf diejenigen, die versuchen, die Welt in »Demokratien« und »Autokratien« aufzuteilen und allen lediglich ihre neokolonialen »Regeln« zu diktieren.